Venezuela -
Teil vom Paradies

Wer einmal das mit Touristen überfüllte Venedig besucht, wird wohl kaum auf die Idee kommen, dass diese italienische Stadt Namensgeber eines Landes in Südamerika war, welches gerade auf dem Weg ist, sich Reisenden aus aller Welt zu öffnen. Veneciola, also Klein-Venedig, nannten entdeckungsfreudige Seefahrer 1499 die Pfahlbauten in den Lagunen beim Maracaibo-See, das daraus abgeleitet später den Namen Venezuela erhielt.

Als das bestgehütete Geheimnis der Karibik wird das Land bezeichnet, das wie wohl kaum ein anderes auf der Welt mit allem aufwarten kann, was des Urlaubers Herz begehrt. Traumhafte Strände auf Karibik-Inseln und auf dem Festland, unberührte Tropenwälder, sagenhafte Tafelberge mit dem höchsten Wasserfall der Erde, wolkenumwobene und schneebedeckte Hochgebirgslandschaften, Steppen mit einem riesigen Reichtum an Flora und Fauna – nicht umsonst war Christoph Kolumbus, als er 1498 durch den Golf von Paria in das Mündungsgebiet des Orinoco segelte, der Meinung, er habe das Paradies gefunden

Aber nicht nur mit offensichtlichen landschaftlichen Reichtümern ist das Land gesegnet, das etwa zweieinhalb mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland ist. Riesige Mengen von Erdöl lagern im Nordwesten, während im Osten mit dem bis zu 58 Prozent aus Eisenerz bestehenden Berg „Cerro Bolivar", großen Bauxitlagerstätten und einer ganzen Kette von Wasserkraftwerken die Grundlage für eine riesige Industrie besteht. Der Name von Simon Bolivar, dem Libertador, sprich Befreier von der spanischen Kolonialherrschaft, findet sich nicht nur hier, sondern auch bei vielen anderen Dingen. So beim höchsten Gipfel Venezuelas, dem 5007 Meter hohen „Pico Bolivar", einer der Bundesstaaten heißt Bolivar, in jeder Stadt und jedem Dorf findet man an zentraler Stelle den „Plaza Bolivar" – ein hübsch hergerichteter und gepflegter Park mit der Büste oder Statue des Befreiers. Ideale Plätze für die Einheimischen, sich zum Gespräch, zum Musizieren oder einfach zum Ausruhen zu treffen. Der allgegenwärtige Rummel um Simon Bolivar hat schon viel von Personenkult an sich, auch wenn die meisten Venezolaner das natürlich ganz anders sehen und tatsächlich Unterschiede zu ähnlichen Formen in ehemaligen sozialistischen Ländern zu erkennen sind. Die Verehrung geht zwischenzeitlich so weit, dass der im Dezember 1998 gewählte Präsident Hugo Chavez den Vorschlag machte, das Land in „Bolivarianische Republik Venezuela" umzubenennen. Übrigens erinnert auch das ständig an Wert abnehmende Geld durch seinen Namen (Bolivares) und durch die Abbilder darauf an den im Dezember 1830 vereinsamt in Kolumbien gestorbenen Volkshelden.

Stichwort Geld. Es spielt in Venezuela und beim Weg dorthin natürlich wie überall in der Welt eine wichtige Rolle. Konnte durchschnittlich ein Flug von Deutschland nach Caracas für etwa 1150 Mark (bei Sonderangeboten ab 900 Mark) gebucht werden, stieg der Preis über die Jahrtausendwende auf etwa 1700 Mark für Frühbucher, Jahresmitte 1999 hatte man unterhalb von 2000 Mark pro Kopf keine Chance, einen Platz zu bekommen. In sofern ist es ratsam, die Reise nach Venezuela als Pauschalurlauber anzutreten. Dann sollte man es aber nicht versäumen, von der Isla Margarita aus Kurztrips auf das Festland zu buchen, weil dort die meisten der venezolanischen Schätze zu finden sind. Individualreisende finden jedoch bekanntermaßen nicht nur einen besseren Kontakt zum Land selbst, sondern in Venezuela auch gute Voraussetzungen für eine Erkundung. Inlandflüge (die man besser eine Woche im Voraus buchen sollte), nehmen sich mit 150 bis 200 Mark für europäische Verhältnisse inzwischen dank der Billigflug-Airlines nicht mehr bescheiden aus. Auch in Venezuela gibt es Billigflieger, ratsam ist hier aber, doch lieber etwas mehr Geld in die Hand zu nehmen. Problematisch ist, dass man meist den Weg über Caracas nehmen muss, was das inländische Luftreisen verteuert. Für die meisten Venezolaner mit einem Durchschnittseinkommen von weit unter 1000 Mark im Monat sind jedoch weite Teile ihres Landes ebenso weit entfernt wie Ziele in Europa. Man kommt von Venezuela aus fast preiswerter zu einem Einkaufstrip nach Miami als zu den Naturschauspielen im eigenen Land! Denn obwohl man mit recht komfortablen Überlandbussen (Vorbuchungen auch hier ratsam) relativ preiswert, wenn auch mit großen Zeitaufwand, von Caracas aus in die meisten Teile des Landes gelangt – die auf Rädern nicht erreichbaren wahren Schätze des Landes lässt man sich teuer bezahlen.

Da ist das Archipel „Los Roques", Nationalpark seit 1972, eine halbe Flugstunde von Caracas entfernt. Die Inselgruppe besteht aus mindestens 47 und höchstens 365 Inseln – das ist in etwa die Spanne, die man von den Einheimischen angeboten bekommt. Fest steht, dass nur acht der aus verschiedenen Korallenarten aufgebauten Inseln bewohnt sind, einige der anderen werden für Ausflüge genutzt, bei denen man, mit Taucherbrille, Flossen und Schnorchel ausgerüstet, eine fantastische Unterwasserwelt erleben kann. Für Flug, Vollpension und einem Bootsausflug inklusive „Snorkeling" muss man hier mit 300 Dollar pro Kopf rechnen. Es besteht zwar auch die Möglichkeit, nur den Flug (ca. 100 Dollar) zu buchen und auf der Hauptinsel „El Grand Roque" eine der knapp 40 Pensionen aufzusuchen, zumindest in der Hauptsaison von Dezember bis April dürfte dies aber ein fast aussichtsloses Unterfangen sein, auch aufgrund der nur begrenzten Zahl von Flügen. Da allerdings ein stetiger Wechsel besteht und auch die eine oder andere Posada neu gebaut wird, gibt es zumindest eine Minimalchance, etwas Geld zu sparen. Einen Ausflug wert ist diese Inselgruppe allemal.

Ebenso lohnenswert, wenn auch noch ein wenig teuer, ist eine Reise in die Vergangenheit, in das „Hochland von Guayana", einer der ältesten Gebirgsformationen der Welt. Die Tour dorthin beginnt im Normalfall mit der Reise in das Dschungeldorf Canaima. Und darin liegt das Problem des hohen Preises begründet, denn der Ort ist für Normalsterbliche nur aus der Luft zu erreichen. Canaima selbst besteht weitestgehend aus Camps – von palmenbedeckten Häuschen (drei Tage ca. 550 Dollar) bis hin zum Hängemattenlager. In letzterem kosten zwei Übernachtungen inklusive Flug so ungefähr 350 Dollar pro Kopf und Matte, dazu kommen noch die saftigen Preise für Halbtagesausflüge ab 100 Dollar über Ausflüge mit Übernachtung in der Wildnis ab 150 Dollar (weit) aufwärts. Man kann auch mehrtägige geführte Jeep- oder kombinierte Jeep-/Bootstouren von anderen Orten aus buchen, die beginnen aber zumeist bei 1000 Dollar aufwärts und sind somit ebenso unerschwinglich. Die beste Zeit für Reisen in dieses Gebiet ist die Regenzeit von Juni bis November, da die Flüsse dann genug Wasser führen, um auch den kleinsten Wasserfall zu einem atemberaubenden Erlebnis werden zu lassen. Alle Reiseveranstalter haben aber – nicht zuletzt auch wegen der in den vergangenen Jahren schwankenden Wechsel von Regen- und Trockenzeit – vorgebaut. In den Prospekten findet man überall Formulierungen wie „abhängig vom Wasserstand" oder „falls die Bedingungen der Flüsse es erlauben". Dennoch – jede Anstrengung lohnt sich spätestens dann, wenn man den „Salto Angel", den mit 1005 Metern (laut venezolanischen Angaben) höchsten Wasserfall der Erde, gesehen hat. Auf dem Weg dorthin dringt man in das Reich der Tafelberge ein. In eine Welt, die, so heißt es, den Sherlock Holmes-Vater Arthur Conan Doyle zu seinem Roman „The lost World" inspirierte, in eine Welt, in der es nach wie vor niemals betretene Flecken gibt. Die Regierung Venezuelas trägt mit einem breitangelegten Nationalparkprogramm dafür Sorge, dass die Natur so unberührt wie möglich bleibt, und somit auch dafür, dass die entlegenen Regenwaldgebiete und die dort lebenden Indianerstämme vor Goldsuchern und Abenteurern geschützt werden. Der Nationalpark Canaima ist übrigens mit ca. 30 000 Quadratkilometern – etwa so groß wie Nordrhein-Westfalen – „nur" der zweitgrößte im Land. Ihn durchfließt auch der Caroni, der, bis er in Puerto Ordaz in den Orinoco mündet, für eine weitere Attraktion Venezuelas sorgt, den Guri-Staudamm. Von 1963 bis 1986 gebaut und damit trotzdem 14 Jahre vorfristig fertiggestellt, liefert das hier befindliche Wasserkraftwerk (das zweitgrößte der Welt) nicht nur den Großteil der in Venezuela benötigten Elektrizität, sondern auch Strom in die Nachbarländer und einige Karibik-Inseln. Weiter flussabwärts, kurz vor der Vereinigung mit dem Orinoco, die aufgrund der Wasserfarbmischung „Kaffee mit Milch" genannt wird, findet man mit dem Macagua-Staudamm und den dort befindlichen drei Kraftwerken weitere beeindruckende Zeugnisse der Wasserkraftnutzung. Im ersten am Caroni errichteten Kraftwerk tun übrigens heute noch die mittlerweile vier Jahrzehnte alten AEG-Generatoren ihren dienst. Ein beeindruckender Anblick und beliebtes Ausflugsziel für Einwohner und Touristen sind die in zwei Parks integrierten Wasserfälle des Macagua-Stausees, auch das Wasserkraftwerk Macagua II mit einer Tourismuszentrale und Teile des Guri-Stausees können besichtigt werden.

Eine ganz andere Landschaft, wenn auch mit einigen wunderschönen Bergseen, findet man im westlichen Teil Venezuelas, der Region der Anden. Der einzige immer mit Schnee bedeckte Gipfel, der oben schon erwähnte „Pico Bolivar", ist von der 1600 Meter hoch gelegenen Universitätsstadt Merida aus zu sehen (wenn die Wolken das zulassen) und auch fast zu erreichen. Immerhin bis auf 4765 Meter führt der „Teleferico", die höchste und mit 12,8 Kilometer auch längste Seilbahn der Welt. 20 Dollar kostet die einstündige, in vier Abschnitte unterteilte Fahrt zur Gipfelstation. In der Umgebung von Merida kommen Bergwanderer voll auf ihre Kosten, von der dünnen Luft abgesehen sind Spaziergänge in Höhen über 4000 Mater bei angenehmen Temperaturen kein Problem. Bei größeren Wanderungen – so zu den badewannenwarmen Musui-Quellen in 3500 Meter Höhe – sollte man allerdings die preiswerten Dienste von Bergführern (ca. zehn Dollar pro Tag), die über Hotels bzw. Pensionen zu buchen sind, in Anspruch nehmen. Schon für 15 Dollar kann man in kleinen Pensionen in Merida übernachten, Frühstück gibt es unter anderem in Einkaufszentren. Hotels wie das als Ausgangspunkt für Bergtouren sehr beliebte „Los Conquistadores" in Mucuchies kosten natürlich etwas mehr. Informationen gibt in Merida die Tourismuszentrale direkt am Flughafen.

Unvorstellbar in der für Europäer angenehm temperierten Andenregion ist, dass nur knapp 250 Kilometer Luftlinie nördlich die mit teilweise mehr als 50 Grad in der Mittagszeit heißeste Großstadt Südamerikas, Maracaibo, liegt. Dies ist für Sonnenhungrige alles andere als ein Tipp, mehr schon der Nordosten des Landes mit dem Naturpark Mochima oder der Halbinsel Paria. Auf letzterer betreibt die aus Karlsruhe stammende Familie Merle ein einzigartiges Projekt in der Verbindung von Ökotourismus und traditionellem Kakaoanbau sowie der Zucht von Wasserbüffeln. Hier – eine Jeep-Stunde Flugplatz Carupano entfernt – findet man auch den wohl schönsten Strand Venezuelas, „Playa Medina". Dessen Tage schienen schon gezählt, da hier ein Luxus-Ferienklub errichtet werden sollte, die unsicheren politischen Verhältnisse im Land haben dieses Vorhaben aber vorerst verhindert.

Weniger ursprünglich, weil schon von vielen Reiseunternehmen als Ziel für Massentourismus auserkoren, ist die Isla Margarita. Trotzdem bietet sie neben vielen Erholungsmöglichkeiten eine gute Basis für Badetouristen, um mit Fähre oder Flugzeug Abstecher auf das Festland zu unternehmen, das alle Chancen hat, vom Geheimtipp zum Tourismus-Magneten zu werden.

 

Thomas BECKER

verfasst 1997, überarbeitet 1999

alle Rechte beim Autor, zwischenzeitliche Änderungen möglich

 

ACHTUNG: In der Zwischenzeit sollten Touristen die Hauptstadt Caracas unbedingt meiden. Die Kriminalität hat extrem zugenommen, vor allem, weil die Versprechungen des Präsidenten bisher nicht in die Tat umgesetzt werden konnten und die Armut weiter angestiegen ist. Da die Unzufriedenheit im Land mit der Regierung wächst, kommt es weiterhin zu gewalttätigen Ausschreitungen.

 

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