Tunesien: Allein im fremden Land

Es war am Anfang des Jahres 1991, als ich mich mit Wieland in Richtung Afrika aufmachte. Tunesien war unser Ziel, und es sollte ein richtiger Abenteuerurlaub werden. Immerhin war Golfkrieg, und wir sollten feststellen, dass nicht viele so unbekümmert an ihren Urlaub herangingen, wie wir es damals taten. So lernten wir Tunesien kennen, wie es wohl sonst kaum möglich ist – fast menschenleer, was die Touristen angeht.

Das Abenteuer begann schon auf dem Flughafen in Frankfurt, zu dem uns mein treuer Trabi ohne Probleme schleppte. Mitten in der Nacht kamen wir an, und sahen uns arg in der Leistungsfähigkeit westdeutscher Unternehmen getäuscht. Auf dem Flughafen war nämlich nicht nur wenig los, hier war nichts los. Abgesehen lediglich von den patrouillierenden Soldaten mit vorgehaltenem Maschinengewehr. Die waren nämlich in größerer Menge los, und da ihnen scheinbar ebenso langweilig war wie uns, fiel es ihnen tatsächlich zwischendurch ein, unsere Ausweise sehen zu wollen. Da war ich gerade auf der Toilette, mit Wielands Pass natürlich, und als ich von meiner ausgedehnten Sightseeing-Runde wieder kam, sah ich einen aufgeregten Wiel mit einem auch nicht gerade angenehm lächelnden Uniformierten. Nun, Wieland lebt auch heute noch, und in Sachen Aufregung stand es kurze Zeit später Unentschieden. Ich hatte nämlich Kopfschmerzen und nahm nicht nur eine Tablette, sondern las aus lauter Langeweile auch noch die Packungsbeilage. Das hätte ich besser lassen sollen, denn die hier geschilderten Symptome wie Schwitzen, Zittern und Temperaturschwankungen sowie Schwindelgefühl meinte ich danach natürlich auch an mir spüren zu können. Da die Reihe der beschriebenen Nebenwirkungen bis hin zum Tod ging, war es auch mir zwischenzeitlich nicht so angenehm, aber ich lebe ja heute auch noch.

Die Nacht verging, und wir starteten schließlich mit Tunis-Air nach Sousse. Es war ein angenehmer Flug, eine nette Landung in Monastir und dann auch eine angenehme Fahrt in unser Hotel, das „Kaisar". Dort waren außer uns nur noch zwei weitere deutsche Gäste, die wenigen anderen Anwesenden waren Einheimische, die sich um den Billardtisch oder den Fernseher drängten. Nachrichten waren angesagt, aktuellste Informationen von der Front. Es gab wohl kaum jemanden, der so froh wie wir darüber waren, dass Deutschland nicht aktiv in diesen Krieg eingriff. So wurden wir nicht nur geduldet, sondern sogar richtig gut behandelt. Engländer, Franzose oder gar Amerikaner hätte ich damals nicht sein wollen. Auch in Sousse sah man das eine oder andere Taxi mit Bildern von Saddam Hussein, ein paar Tage vor unserer Ankunft, so ließen wir uns sagen, hatte es eine große Pro-Hussein-Demonstration gegeben. Wir nahmen es weiterhin relativ locker und machten uns zur ersten kleinen Erkundung der Umgebung auf, wo wir beim Südfrüchtekauf gleich fast heftig übers Ohr gehauen worden, was uns aber eine Lehre war und uns im Dschungel der Souks eine gute Figur abliefern ließ. Gut versorgt von unseren „Herbergsvätern" – damals war das „Kaisar" noch ein kleines, überschaubares Hotel – lernten wir auch die heimische Küche kennen, natürlich gab es auch das Nationalgericht Cous-Cous. Ansonsten hielten wir uns aber wenig im Hotel auf und machten uns vielmehr neben der Stadt auch über das Land her.

Sousse selbst bietet als eigentlich industrieorientierte Stadt relativ viel. Eine Attraktion ist die gut erhaltene Stadtmauer, ebenso die über der Stadt thronende Kasbah, die im 9. Jahrhundert entstand und ein archäologisches Museum beinhaltet. Von hier erreicht man durch die engen Gassen der Medina die Souks, in denen eine verwirrende Vielzahl an Läden zum Schauen, Handeln und Kaufen einlädt. Mich begleiteten letztendlich eine Trommel, Camel 5 und einige geniale Fotos sowie viele Erinnerungen nach Hause, während es Wieland mehr das Kunsthandwerkliche wie Dolch und Wasserpfeife angetan hatte. Aber zurück zu Sousse. An jedem Sonntag ist außerhalb der Stadtmauer auf der Straße nach Mahdia Markt. Wenn auch schon teilweise sehr touristisch ausgerichtet, kann man hier noch Ursprüngliches erleben. Das liegt auch daran, dass es sich nicht nur um einen Trödelmarkt, sondern auch heute noch um einen Bau-, Vieh- und Gemüsemarkt handelt.

Übrigens – was dem Venezolaner sein Simon Bolivar, ist dem Tunesier sein Habib Bourguiba. Zwar stehen nicht überall Büsten von ihm herum, aber natürlich ist die prächtige Strandpromenade nach dem „Vater der Nation" und „Combattant suprême" benannt. Ansonsten trifft man natürlich im Land auf zahlreiche Moscheen, die durchaus sehenswert sind, wenn auch bei weitem den Ungläubigen nicht so freizügig geöffnet werden wie die Moscheen in der Türkei.

Natürlich wollten wir nicht die ganze Zeit in der Stadt bleiben, und so unternahmen wir drei Ausflüge, von denen der nach Karthago der am wenigsten beglückende war. Nicht nur, dass wir nicht nach Tunis herein konnten, weil dort wegen des Golfkrieges gerade ein paar Unruhen am Brodeln waren – Karthago selbst sieht halt in weiten Teilen so aus, wie von den Römern hinterlassen: Verwüstet. Ein paar nachgebaute Stelen hier, ein paar ganz nette Grundmauern dort – es war schön, mal dort gewesen zu sein, aber mehr auch nicht. Eine andere Tour führte uns nach Sidi Bou Saïd. Das Künstlerdorf ist dank seiner weißen Häuser mit den blauen Türen zu einem Vorzeigeort geworden, der dennoch, zumal, wenn man ihn nicht in allzu großer Gesellschaft erwandert, einen eigentümlichen Reiz ausübt. Hier kann man genießen, sich aber auch in das Leben der an den Souvenirständen stürzen. Apropos stürzen. Wieland stürzte hier einen Händler in die totale Verzweiflung, es würde mich nicht wundern, wenn der sich nach unserer Abreise einen Abhang hinabgestürzt hätte. Sein Problem war ein ganz schicker Dolch, auf den Wiel kurz ein Auge geworfen hatte, ohne jedoch scharf darauf zu sein. Als nun der freundliche Tunesier, Allah sei seiner Seele gnädig, mit einem horrenden Preis von 120 Dinar (damals knapp 240 Mark) in die Gebotsrunde einstieg – absolut antiken Ursprungs sollte das gute Stück natürlich sein – warf ihn Wieland mit einer locker hingeworfenen „fünf" das erste Mal hart an den Rand des Wahnsinns. Als er seine Fassung wieder gefunden hatte, rang sich der Wüstensohn, wahrscheinlich geschockt durch eine solche Unverfrorenheit, zu einer Preissenkung auf 100 Dinar durch. Wieland ließ sich davon nicht berühren, blieb bei seiner „fünf" und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Über die Stationen 90 und 80 kam der Sohn der Wüste auf 75 Dinar, und gerade, als er so aussah, als ob er uns wegen der Wiel‘schen Starrköpfigkeit hochkant aus seinen Laden schmeißen wollte, machte dieser einen großen Schritt auf zehn Dinar. Das entfacht die Handelswut des Verkäufers natürlich aufs Neue, und nach einigen verzweifelten Hinweisen auf seine Familie, die nun verhungern muss, ging er tatsächlich bis auf 25 Dinar herunter. Dann wurde er jedoch bockig und versuchte uns zu erklären, dass Handeln drauf basiert, das der eine mit dem Preis nach unten geht, während der andere ihm entgegenkommt. Wiel ließ sich jedoch auch dadurch nicht erweichen und suchte vielmehr mit mir das Weite, sprich den Bus. Zurück ließen wir einen deutlich zerknirschten Händler. Kurz bevor der Bus seine Türen schloss, sahen wir unseren guten Freund heransprinten. Scheinbar war ihm eingefallen, dass er den Dolch doch nicht bei einer aufwendigen archäologischen Exkursion gefunden, sondern irgendwo aus einem Stück Schrott gebastelt hatte, denn plötzlich wollte er das gute Teil doch für zehn Dinar loswerden. Den Gefallen tat ihm Mister Obercool Wieland dann aber auch nicht mehr, und so ließen wir in Sidi Bou Saïd einen die Welt nicht mehr verstehenden Tunesier zurück.

Ein Erlebnis ganz anderer Art dagegen war die Fahrt in das Landesinnere. Die unternahmen wir mit zwei Einheimischen und dem auch in unserem Hotel abgestiegenen Ehepaar per Jeep. Am Beginn der Reise stand der Besuch im Amphitheater von El Djem. Dort schiffte es so, dass man die andere Seite des riesigen Bauwerkes nicht sah. Das hielt aber wenigstens auch die letzten hartgesottenen Touristen fern, so dass wir dieses sehenswerte Stück römischer Baukunst fast für uns allein hatten. Im Sommer finden hier übrigens klassische Konzerte statt, das Wetter ist meist auch bedeutend besser.

Weiter ging die Fahrt nach Matmata. Hier findet man auch heute noch bewohnte Höhlenbehausungen, die einen ganz netten Anschein machen, auch wenn es natürlich Angenehmeres gibt. Inzwischen gibt es hier sogar ein Höhlenhotel. Von Matmata ging es schnurstracks über Kebili zum „Chott el Djerid", einer riesigen Salzpfanne, in der es von Fata Morganen eigentlich nur so wimmeln soll. Wir bekamen keine zu sehen, dafür aber einen durchaus realen Händler mit traumhaft schönen Sandrosen und ein blechernes Klohäuschen, das vor unserem Augen durch den Wind umstürzte. Auf der Fahrt zu unserer Zwischenstation wurden wir übrigens wieder von der Realität eingeholt. Unser Jeep gab nämlich plötzlich verdächtige Geräusche von sich, ein Radlager war kaputt. Mehr als eine Stunde lang mussten unsere Begleiter auf eine Gruppe von Taxifahrern einreden, bis endlich einer bereit war, uns ins Hotel zu fahren. Er übernahm uns aber erst außerhalb des Stadtzentrums und nach mehrmaligen Nachfragen, ob wir denn auch tatsächlich Deutsche seien. Da wurde uns bewusst, dass die in vielen Orten im Landesinneren aufgestellten Raketenattrappen mit Richtung USA oder Europa sehr wohl einen ernsten Hintergrund hatten. Es gab dort jedenfalls genügend Fans von Saddam Hussein. Der Übernachtung in einem Wüstenhotel folgte ein unvergesslicher Kamel-Ausritt der aufgehenden Sonne entgegen. Mit vermummten Gestalten, die einem Horrorfilm entsprungen sein konnten, ritten wir vier Ahnungslosen hinaus in die Zone des ewigen Sandes, in dem nur noch ein paar furchtbar dürre Sträuchlein ihre verdorrten Äste in die Höhe reckten. Aus diesen kümmerlichen Pflänzchen machten die Unheimlichen ein Feuerchen, und so wurde es ein Erlebnis, das auch besonders dadurch wirkte, weil wir wirklich nur ein paar wahnsinnig beeindruckte Menschlein und kein lärmender Touristenhaufen waren. Im Wüstenzoo von Tozeur begegneten wir dann unserem ersten Skorpion, und über die heilige Stadt Kairouan reisten wir – im reparierten Jeep – wieder nach Sousse.

Glücklich wieder in Frankfurt angekommen, wartete dann noch eine abschließende Überraschung auf uns. Die Parkgebühr für den Trabi im Flughafen-Parkhaus war nämlich etwa so hoch wie dessen Wert. Und das in Westmark, das war schon ein ganz schöner Hammer. Dennoch – Tunesien ist eine Reise wert, zumindest dann, wenn man sich nicht in einem riesigen Tross anderer Touristen befindet.

 

Thomas BECKER

Erlebt 1991, aufgeschrieben 1999

Alle Rechte beim Autor, zwischenzeitliche Änderungen möglich

 

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