Alles ist relativ

 

August 2001: Von Klimaveränderung und globaler Erwärmung wird viel gesprochen. Ebenso davon, dass dadurch früher oder später der Meeresspiegel steigt. Experten aus dem Potsdamer Institut für Klimaforschung halten Meldungen von zwei Metern und mehr für maßlos übertrieben, aber so 50 Zentimeter bis ein Meter werde es wohl werden, lautete die Prognose während eines Vortrages vor wenigen Wochen in der Freien Universität Berlin. "Also, alles nicht so tragisch. Was sind schon 50 Zentimeter?", sagt man sich da doch als mehr als 200 Meter über dem Meeresspiegel wohnender Thüringer.

50 Zentimeter – das ist knapp ein Drittel der höchsten Erhebung der Malediven. Die meisten der 1190 bewachsenen Inseln des südwestlich von Indien liegenden Staates, der sich von der Südspitze Indiens bis unterhalb des Äquators erstreckt, schauen gerade mal genau diese 50 Zentimeter aus dem Wasser. Steigt der Wasserspiegel, verschwindet ein ganzer Staat mit 260 000 Menschen von der Weltkarte. Denn mit einer Erhöhung des Wasserspiegels verringert sich die Schutzfunktion der alle Inseln umgebenden Korallenriffe, die Wellen werden höher und auch die theoretisch noch aus dem Wasser ragenden Inseln werden unbewohnbar. So ist das mit der Relativität.

Aber daran werden die Urlauber, die sich jedes Jahr für eine Reise auf die Malediven entscheiden, kaum denken. Wie soll man auch, wenn türkisblaues Wasser, goldene Strände, blauer Himmel und grüne Palmen einem das Gefühl geben, einen Zipfel vom Paradies in der Hand zu halten. Zwischen 199 und 220 schwanken die Angaben über die Zahl der bewohnten Inseln, fest steht jedenfalls, dass es derzeit 89 Urlauber-Inseln gibt.

Eine der jüngsten Eroberungen und das erste Hotel-Ressort im ca. 140 Kilometer von Male entfernten Raa-Atoll ist Meedhupparu. Vor einem Jahr eröffnet, erfreut sich diese in Deutschland nur über die Neckermann-Gruppe zu buchende Insel vor allem wegen des exzellenten Essens großer Beliebtheit. Ein Sterne-Koch aus Sri Lanka erfreut die Gäste täglich mit abwechslungsreichen Kreationen aus der asiatischen und internationalen Küche. Für Taucher interessant sind die nach fast unberührten Tauchgründe in diesem Atoll. Besonders in der jetzt herrschenden Regenzeit mit ihrem Plankton-Reichtum trifft man bei fast jedem Tauchgang auf majestätisch schwebende Mantas, auch Schildkröten sind keine Seltenheit. Dafür muss man momentan bei der Sicht Abstriche machen, die in der Malediven-Hauptreisezeit von Dezember bis Februar bei 40 Metern liegt. Dann sind auch Haie wie der Graue Riffhai hier zu beobachten. Aber auch Schnorchler kommen an den sich langsam wieder mit Korallen schmückenden Hausriffen auf ihre Kosten. 1998 hatte es infolge des Naturphänomens El Nino ja die große Korallenbleiche gegeben, die die ganze Farbenpracht mit einem Schlag wegwischte. Die erfahrenen italienischen und deutschen Tauchlehrer in der Basis „The Crab" haben schon wieder einige Plätze ausfindig gemacht, die einen den früheren Farbenreichtum erahnen lassen. Auch wenn man auf Meedhupparu vor architektonischen Dummheiten nicht verschont blieb - so wurde die Wanderung des Strandes durch die Monsunwinde nicht berücksichtigt und so ein Teil der 220 Bungalows zu nah ans Wasser gebaut, was sie wegen Unterspülung unbewohnbar macht - die Bebauung hier befindet sich im Einklang mit der Natur. Unauffällig verstecken sich die Gebäude zwischen den Palmen, durch die offene Bauweise von Restaurant und Bar sitzt man eigentlich immer draußen. Ventilatoren sorgen fort für angenehme Luftbewegungen, wo die zumindest in dieser Jahreszeit immer leicht wehende Meeresbrise aufgrund der dichten Vegetation nicht mehr zu spüren ist. Freilich, mehr als 30 Grad im Schatten spornen einen nicht gerade zu Höchstleistungen an, aber wer muss sich auf einer solchen Trauminsel auch verausgaben, wo 28 Grad Celsius warmes Wasser in einer fast unwirklich türkis-blauen Lagune zum Baden einlädt und kühle Drinks dem All-Inclusive-Gast jeden Tag zum Festtag werden lassen. Übrigens - mit 4400 Mark pro Kopf für 14 Tage All Inclusive gehört Meedhupparu noch eher zum unteren Preisdrittel auf den Malediven. Mindestens 3000 Mark pro Person muss man in der Hauptsaison für zwei Wochen Halbpension auf den preiswertesten Inseln hinblättern, es gibt aber auch Luxus-Eilande, auf denen man für das Fünffache und mehr willkommen ist. Eines muss man ganz klar sagen: Für Globetrotter sind die Malediven nichts. Wer aber einmal (oder wiederholt) - und sei es nur für eine Woche - Erholung pur sucht, der ist hier genau richtig. Auf Meedhupparu zum Beispiel gibt es in den Bungalows weder Radio noch Fernseher. Unterhaltung hat man beim Tischtennis, rund um die geräumige Freiluftbar in Pool-Nähe oder beim allabendlichen Fische füttern am Steg. Da bekommt man einfach nichts mit von den Sorgen der anderen da draußen in der Welt. Und wer nach Hause telefoniert, ist selber schuld. Jede angefangene Minute kostet nämlich 8 US-Dollar, auf manchen Inseln werden gar bei jedem Gespräch pauschal 20 Dollar für die ersten drei Minuten berechnet, egal, ob man so lange telefoniert oder nicht. Das ist selbst in Euro eine ganze Menge. Da sollte man sein Geld dann doch lieber in eine Nachtangeltour oder ein Insel-Hüpfen investieren. Das verbindet auf Meedhupparu den Besuch einer Einheimischen-Insel mit einer Schnorchelstunde und einem leckeren Mittagessen auf einem unbewohnten Eiland. Ansonsten kann man schnorcheln, tauchen, Katamaran fahren oder aber sich einfach hängen lassen an einem Strand, der trotz der geringen Größe der Insel (750 mal 285 Meter) immer ein Stück Einsamkeit bietet.

Einsamkeit ist überhaupt etwas, von dem die Malediven immer noch eine ganze Menge zu bieten haben. Das glaubt man zwar nicht, wenn man sieht, dass die Touristenzahlen die der Einheimischen jedes Jahr deutlich übersteigen, aber es ist so. 900 Insel werden als Kokosplantagen genutzt, sind also unbewohnt. Nur ein kleines Hüttchen zeigt an, das die Insel einen Besitzer bzw. Pächter hat. Es gibt übrigens auf den ganzen Malediven keine Palme, die nicht irgendwem gehört. Eine auf dem Boden liegende Kokosnuss aufzuheben ist Diebstahl, selbst für die Palmen auf den eigenen Grundstücken müssen die Einwohner einer Pacht bezahlen, um Nüsse, Blätter oder Fasern nutzen zu können. Verständlich, wenn man bedenkt, dass es mit Rohstoffen im Inselstaat sonst nicht weit her ist.

Aber der eigentliche Reichtum der Malediven sind ja ohnehin die paradiesischen Inseln. Jedes Jahr werden ein paar weitere von der Regierung zur Besiedlung freigegeben. Eigentümer bleibt dabei immer ein Einheimischer, ausländische Firmen wie Hotelketten dürfen zwar Urlauberressorts bauen und betreiben, vom größten Schatz des Landes, dem Grund und Boden, wird aber nicht aus der Hand gegeben. Das wäre auch nicht ratsam, denn von den knapp über 100 000 Quadratkilometern Staatsfläche sind gerade einmal 298 Quadratkilometer nicht von Wasser bedeckt. Zum Vergleich: Erfurt nimmt eine Fläche von 269 Quadratkilometern ein.

Auf diese Art hat man es bisher immerhin vermieden, ähnlich wie in anderen Ländern von einem touristischen Traum- zu einem Alptraumziel zu werden. Langsam und vorsichtig entwickelten die Malediven den Tourismus. 1972 wurde nahe der Insel-Hauptstadt Male auf einem unbewohnten Eiland das erste Hotel-Ressort mit 60 Betten eröffnet. Angeflogen wurden die Malediven damals über Sri Lanka mit kleinen Zubringermaschinen, trotzdem kamen im ersten Jahr schon mehr als 1000 Urlauber. Gut 20 Jahre später zählte man bereits mehr als 250 000 Touristen pro Jahr auf den inzwischen mehr als 70 Urlauber-Inseln. Inzwischen gibt es 89 für den Urlaub genutzte Inseln, die Zahl der Reisenden nähert sich der 500 000 an, von denen etwa 80 Prozent aus Europa kommen. Hier liegen seit Jahren Italiener knapp vor den Deutschen, beide Nationen halten einen Anteil von etwas über 20 Prozent.

Seit 1988 wird eine Steuer von 6 US-Dollar pro Nacht und Person erhoben, die Bestandteil des Reisepreises ist. Mit diesem Geld wird unter anderem die touristische Infrastruktur aufgebaut. Auch Schul- und Gesundheitssystem sind auf den Malediven gut entwickelt. Die schnelle Entwicklung des Tourismus brachte auch einen Boom der anderen Industrien mit sich. Das Kommunikationsnetz wurde ausgebaut, die Verbindungen auf den Seewegen, das Banken- und Handelssystem entwickelt. Gemeinsam mit der Modernisierung blühten auch fast vergessene Kunsthandwerke wieder auf, wie die der Holzschnitzer und der Webereien, die durch den Tourismus eine neue Einnahmequelle erschlossen. Die bedeutendste Entwicklung für die Inselgruppe war jedoch die Eröffnung des Internationalen Flughafens im Jahr 1981. Dieser Flughafen ermöglichte endlich den direkten Weg nach Westeuropa und machte so das Land zu einem äußerst attraktiven Urlaubsziel für viele europäische Länder. Durch die starke Zunahme der Touristenzahlen wurde es notwenig, den Flughafen Hulule im Jahr 1995 zu erweitern und zu modernisieren. Im Herbst 1995 wurde der „neue" Flughafen eröffnet, der einen hohen Komfort und angenehmes ein- und auschecken ermöglicht, was sich durchaus mit dem gehobenen westlichen Standard messen lässt.

Die Malediver selbst sind ein bodenständiges Völkchen. Mit ihrer anerkannt guten Schulbildung sind sie an den Universitäten in Bombay (Indien) oder Colombo (Sri Lanka) gern gesehene Gäste. Die meisten von ihnen finden aber den Weg wieder zurück in die Heimat, wo sie in Urlauber-Ressorts gute Aufstiegsmöglichkeiten haben. Gesprochen wird auf den Malediven übrigens Diveli - eine Mischung aus singhalesisch und arabisch. Da man damit außerhalb der Landesgrenzen nicht weit kommt und sich selbst in den Touristenzentren aufgrund des Angestelltengemischs aus weiten Teilen Asiens nicht immer verständigen kann, werden in der Schule nur die heimatkundlichen Fächer in der Landessprache unterrichtet. Im Koran-Unterricht lernt und spricht man arabisch, in alle anderen Fächer wie Naturwissenschaften ist Englisch angesagt. Auf den Malediven herrscht der Islam als staatstragende Religion vor. Frauen mit Schleier oder Kopftuch findet man aber selten, da die Regierung Anfang der 80er Jahre in einem (inzwischen zurück genommenen) Erlass verfügt hatte, dass solche Verhüllungen nicht gestattet seien, weil sie die Urlauber abschrecken. Die Schulkinder jedenfalls genießen das und tragen die vom Staat zur Verfügung gestellte weiße Schuluniform mit Stolz. Übrigens – sollten Einheimische einmal auf eine Trinkgeldgabe oder eine Hilfestellung nicht mit „shukriya" (danke) reagieren, so hat das seinen Ursprung in der Religion. Im Islam gilt nämlich das Geben als Selbstverständlichkeit und muss somit vom Nehmenden nicht besonders gewürdigt werden. Was selbstverständlich nicht heißt, dass man sich nicht selber für das immer freundliche und hilfsbereite Wesen der Malediver bedanken soll, das wird durchaus wohlwollend registriert. Eine Anmerkung zu den Malediven sei noch gestattet – mir sind noch nie im Ausland so freundliche Zöllner und Grenzbeamte begegnet wie dort. Nur bei Alkohol verstehen sie keinen Spaß, dafür herrscht ein totales Einfuhrverbot. Aber keine Angst, bei der Rückreise bekommt man den guten Tropfen wieder ausgehändigt. Es ist schließlich ein gastfreundliches Land.

Thomas BECKER, August 2001

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