Freie Universität Berlin
Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Studiengang Journalisten-Weiterbildung
Kommunikationswissenschaftliches Seminar I 2000

 

Zukunftskonzept für ein Medienprodukt

Von der Wiege bis zur Bahre:
Kann Zeitung auch künftig
ein Begleiter fürs Leben sein?

Arnstadt, November/Dezember 2000

 

1. EINLEITUNG

 „Ich bin überzeugt, dass es in zehn bis 15 Jahren keine Papierzeitung mehr geben wird" – diese Aussage, getroffen von Professor Klaus Schönbach (und wenig später von ihm selbst relativiert) im Kommunikationswissenschaftlichen Seminar der Journalisten-Weiterbildung der Freien Universität Berlin am 29. Oktober 2000, schreit förmlich nach Widerspruch. Oder etwa nicht? Hat nicht bisher die Tageszeitung alle Konkurrenz überlebt?! Radio und Fernsehen konnten sie nicht in die Knie zwingen, warum sollen das nun die neuen Medien können?

Andererseits verlieren Zeitungen seit Jahren Leser. Die Alten sterben weg, die Jungen rücken nicht nach. Ist die Zeitung nicht mehr „In"?

Wenn man über die Zeitung von Morgen oder in zehn bis 15 Jahren spricht, dann muss man sich zuerst mit der Zeitung von gestern und heute beschäftigen, auch wenn eine gern zitierte (der Blattkritik ausweichende) Journalistenweisheit besagt, dass nichts so alt ist wie die Zeitung von gestern. Wenn ich mich mit der Zeitung beschäftige, dann immer aus zwei Aspekten heraus – dem des Machers und dem des Lesers. Aus beiden Positionen möchte ich in dieser Arbeit die Zeitung von heute betrachten und Lösungswege aufzeichnen, die dazu führen können, dass die Zeitung von Morgen immer noch ein Lebensbegleiter getreu des Satzes: „Von der Wiege bis zur Bahre" ist. Dabei spielen jedoch so viele Aspekte eine Rolle, dass ich komplexe und eine eigene Betrachtung erfordernde Themen wie Qualitätsmanagement oder Zeitungsdesign nur streifen kann. Grundlage meiner Betrachtung ist das Ressort Lokales der Tageszeitung, in dem ich, für die Arnstädter Ausgabe der Thüringer Allgemeine seit zehn Jahren als Redakteur bzw. verantwortlicher Redaktionsleiter, tätig bin.

Ein Zukunftskonzept für ein einzelnes Medienprodukt wie eine spezielle Tageszeitung entwerfen zu wollen, ist angesichts der Vielzahl der Einflüsse, die täglich neu über Erfolg und Misserfolg bestimmen, fast vermessen. Ein Zukunftskonzept für eine ganze Mediengattung kann unter diesem Blickwinkel gar nicht entstehen, da sich die im Einzelfall auftretenden Probleme noch vervielfachen. Dennoch bin ich sicher, dass allein die Tatsache, sich mit der Wirkung eines Produktes auf den Konsumenten zu beschäftigen, dem Erzeugnis schon größere Überlebenschancen verschafft und das deshalb, wenn diese Arbeit als Denkanregung verstanden wird, auch meine Gedanken ein Beitrag für die Zukunft der Zeitung sind.

 

2. REGIONALZEITUNG – FELS IN DER BRANDUNG

2. 1. Ist Zeitung noch zeitgemäß?

Der Zeitungsmarkt in Deutschland, und nicht nur hier, hat seit Jahren mit Verlusten zu kämpfen. Von 1998 zu 1999 sank die verkaufte Auflage lokaler und regionaler Tageszeitungen um 241.093 Exemplare, das sind 1,39 Prozent. Dabei ist der Rückgang in den neuen Bundesländern mit 3,08 Prozent weit höher als in den alten Ländern mit 0,93 Prozent – hier wird sich in den nächsten Jahren eine Angleichung der Haushaltsabdeckungen vollziehen. Ebenso deutlich ist der Rückgang bei den Kaufzeitungen mit 235.315 im gesamten Bundesgebiet (Zeitungen ’99, 1999, S. 71). Auch Sonntags- und Wochenzeitungen müssen Verluste konstatieren. Nachdem es für lokale und regionale Abonnementzeitungen, überregionale Zeitungen und Kaufzeitungen bis 1990 in der Auflagenentwicklung nur eine Richtung, nämlich nach oben, zu geben schien, kam mit der schnellen Verbreitung privater Fernsehsender ein scheinbar unaufhaltsamer Rückgang ins Rollen. Wenn man in Betracht zieht, dass nur ein bestimmter Teil des täglichen Zeitbudgets für die Information zur Verfügung steht, dann können Zeitungsmacher und -verkäufer nicht an der Entwicklung der täglichen Fernsehnutzung vorbei. Waren es 1991 noch 153 Minuten (West) und 189 (Ost), die die Menschen durchschnittlich vor dem Fernseher verbrachten, so standen 1999 schon 190 Minuten (West) und 216 (Ost) zu Buche. Im gleichen Zeitraum nahmen die Reichweiten von Tageszeitungen insgesamt (West: 1991 – 78,8 Prozent der Erwachsenen ab 14 Jahre; 1998 72,4 Prozent / Ost: 1991 – 84,7 Prozent; 1998 – 75,5 Prozent) sowie regionaler Abo-Zeitungen (West: 1991 – 68 Prozent; 1998 60 Prozent / Ost: 1991 – 77,7 Prozent; 1998 – 68,2 Prozent) deutlich ab (Quelle: Dr. Barbara Held, JWB FU Berlin, 10/2000). Dabei gilt es zu beachten, dass die hohen Auflagenverluste der ehemaligen SED-Zeitungen dadurch zu begründen sind, dass ein Zeitungspreis von 15 Pfennig natürlich niemanden zwang, aus wirtschaftlichen Gründen auf eine Tageszeitung zu verzichten. Das war auch bei der Bezirkszeitung Das Volk in Erfurt, deren Nachfolger die Thüringer Allgemeine ist, der Fall. Der geringe Bezugspreis hatte auch dazu geführt, dass oftmals in einem Haushalt mehrere Zeitungen abonniert waren und dazu noch eine Vielzahl von Exemplaren in Betriebe und öffentliche Einrichtungen geliefert wurde. Inzwischen ist es aber schon lange nicht mehr nur die Bereinigung des Abo-Marktes, sondern die Konkurrenz der anderen Medien, die den Zeitungen zu schaffen macht. Dazu kommen noch unternehmerische Entscheidungen im eigenen Verlagshaus. Es sei nicht verwunderlich, so Günther Rager, dass Anzeigenblätter in Befragungen als Hauptkonkurrent für die Tageszeitung genannt werden. „Nicht nur in den Ballungsräumen, in denen zusätzlich lokales Fernsehen hinzukommen kann, fragt sich mancher, wozu er eine Tageszeitung braucht, wenn er doch lokale Informationen frei Haus bekommt". Die Beteiligung von Zeitungsverlagen an Anzeigenblättern und lokalem Hörfunk bezeichnet Rager als „Kannibalisierungstendenz" (Journalist 12/99, S. 66).

Es gibt zweifellos eine Reihe von nicht Medien bezogenen Umständen, die zu Leserverlusten führen. Diese haben mit der Zeit und der Gesellschaft zu tun, in der wir leben. Da wäre die Veränderung der Bevölkerungsstruktur zu nennen – die Stammleserschaft ist in den hohen Jahrgängen zu finden, hier nimmt aber die Zahl derer zu, die das Produkt zwar noch konsumieren wollen, aber aus Altersgründen nicht mehr lesen können. Dann kommt hinzu, dass Bevölkerungszuwachs in Deutschland in den vergangenen Jahren auch durch Personen erfolgte, die der deutschen Sprache nicht gut genug mächtig sind, um längere und kompliziertere Texte lesen zu können. Jugendlich sind heute nicht mehr so in der Region verwurzelt wie früher, greifen eher zu Special-Interest-Medien als zu Tageszeitungen. Für einen Single-Haushalt stellt die Abo-Gebühr eine höhere Belastung als für einen Mehrpersonenhaushalt dar, letztere nehmen jedoch zahlenmäßig ab. Ein weiterer Grund für rückläufige Leserzahlen ist die oftmals berufsbedingte größere Mobilität – lokale Informationen spielen für Pendler eine geringere Rolle (vgl. Klaus Schönbach, 1997, S. 12).

SMS, WAP-Handys, Internet, E-Books – die Liste der Konkurrenten, die der Zeitung den Rang als Nachrichtenübermittler ablaufen könnten, ist lang. Die Möglichkeiten der modernen Technik sorgen für Übermittlungszeiten, die eine Zeitung mit ihrem Produktionsvorlauf, dem Druck und den oft langen Vertriebswegen gar nicht wettmachen kann. In Sachen Aktualität hat die Zeitung aber schon lange das Nachsehen gegen Radio und Fernsehen. Damit hat die Zeitung, so scheint es auf den ersten Blick, dass Rennen im Kampf um das wichtigste ihres potentiellen Kunden verloren – die Zeit. Schnell informiert sein, immer auf der Höhe der Zeit: „Der Medienkonsument hat wenig Zeit und ist an die niedrige Einstiegsschwelle des Leitmediums Fernsehen gewöhnt. Sein größtes Bedürfnis ist es, sich mit geringem Zeitaufwand umfassend zu informieren", schätzt Andrea Brettschneider, Media-Planerin bei Optimedia in Düsseldorf, die Lage ein. Der bildbetonte, aktivierende und unterhaltende Stil des Fernsehens präge in zunehmendem Maße die Erwartungen, die an jede Form der Kommunikation gestellt werden. „Und die Medien müssen sich anpassen, dies gilt besonders für die naturgemäß textlastigen und informationsstarken Tageszeitungen, die eine längere und intensivere Nutzung erfordern und auf keinen Fall als Nebenbei-Medium dienen können", so Andrea Brettschneider weiter (Susanne Schaefer-Dieterle, 1997, S. 61). Aber wollen Zeitungsleser Fernsehen in Papierform? Klaus Schönbach äußerte im eingangs erwähnten Kommunikationswissenschaftlichen Seminar eine andere Sicht: „Die Zeitung ist gut beraten, wenn man berücksichtigt, dass Leute, die Fernsehen wollen, einfach fernsehen".

Insofern haben Zeitungsmacher – speziell in einem durch eine Vielzahl von kleinen Gemeinden strukturierten Raum, wie es das Erscheinungsgebiet der Lokalausgabe Arnstadt der Thüringer Allgemeine ist – einen großen Vorteil: Für ihr Zuständigkeitsgebiet interessiert sich noch keines der konkurrierenden Medien, es sei denn, es findet etwas Außergewöhnliches statt. Lokalfernsehen konzentriert sich, zumindest in Thüringen, auf die Großstädte, lokale Informationen von Rundfunkanstalten beschränken sich oft auf die Polizeiberichte. Somit stellen sich lokale Tageszeitungen durchaus noch als Fels in der Brandung dar, auch wenn klar ist, dass sich die Verlage mit ihren kostenlosen Anzeigenblättern auch hier zunehmend selbst Konkurrenz machen. Deshalb gilt es für die Journalisten von Morgen, ihr Produkt unverzichtbar zu machen.

Für jemanden, der von der Zeitung lebt, stellt sich die Frage selbstverständlich nicht in Wirklichkeit, ob Zeitung noch zeitgemäß ist. Sie ist es, wenn vielleicht auch nicht in der Form, wie sie heute erstellt und vertrieben wird. Aber wenn selbst im Internet-Wunderland USA neue Formate wie „USA today" einen riesigen Markt erobern können, dann hat Zeitung auch Zukunft. Nur wie? Um das zu ergründen, muss man sich erst einmal damit beschäftigen, was Zeitung überhaupt kann und was konkurrierende Medien (vielleicht) nicht können.

 

2. 2. Ein universelles Medium denkt vor

Dieter Golombek weist der Zeitung sechs Funktionen zu: Die Chronik-Funktion, die soziale Funktion, die soziologische Funktion, die Forumsfunktion, die Orientierungsfunktion und die Demokratiefunktion (Projektteam Lokaljournalisten, 1998, S. 10-12). Nun kann man alle diese Funktionen ebenso auf Rundfunk und Fernsehen übertragen. Dabei stößt man aber auf ein Problem, das eigentlich der Vorteil der schnellen Medien ist – die Aktualität. Ist man zu sehr der Aktualität verpflichtet, geraten Hintergrundinformationen, die Hilfe, wie man mit dem neu erworbenen Wissen umgeht, in das Hintertreffen. Zeitung kann zwar nicht so schnell informieren wie andere Medien, und das Lesen der Zeitung benötigt mehr Zeit, als sich schnell eine Nachrichtensendung anzuschauen oder anzuhören, aber man ist mit der Zeitung in der Hand in einem weitaus geringeren Maße eingeschränkt bei der Wahl der Informationen, die man aufnimmt. Für Andrea Brettschneider stellt die Informationsüberflutung in der heutigen Gesellschaft eine Chance für die Tageszeitung mit ihrer „Alltags- und Nachbarschaftskompetenz" dar, es werden „zwar immer mehr Informationskanäle genutzt, das Aufnehmen und Herausfiltern dessen, was wirklich relevant ist, wird indes immer schwieriger" (Susanne Schaefer-Dieterle, 1997, S. 62/63). Der Journalist tritt also als Vordenker auf, der aus einer beinahe unüberschaubaren Menge von Informationen eine immer noch große Anzahl einzelner Themen herausgreift, diese aufarbeitet und als möglichst gut sortiertes Angebot in die Ausgabe bringt. Insofern kann man den Tageszeitungen – vielleicht als einzigem Medium in der Art – die gleiche Definition wie den Lokaljournalisten zukommen lassen: Sie können nichts richtig, aber dafür von allem etwas.

Klaus Schönbach und Wolfram Peiser beschreiben in ihrer Studie zu Tageszeitungen in den Neunzigern neben eher volkstümlichen Vorteilen der Zeitung wie die Abschirmung am Frühstückstisch, das Einwickeln von Heringen und Gläsern und das Ausstopfen nasser Schuhe auch tatsächliche technisch-materielle Vorteile des Mediums gegenüber seinen Konkurrenten: Die Information, die von der Tageszeitung übermittelt wird, ist nicht flüchtig, man kann sie aufheben, dann lesen, wenn es passt – sie ist jederzeit abrufbar. Die Tageszeitung ist ein leicht zu transportierendes Informationsmittel, sie lässt sich auch zerlegen, Berichte können ausgeschnitten und weitergegeben werden. Die Geschwindigkeit der Informationsaufnahme wird von den Lesern selbst bestimmt. Und schließlich: Die Zeitung ist ein besonders gut erschließbares Medium und macht die gezielte Suche nach Informationen relativ einfach (Klaus Schönbach, 1997, S. 16). Für Klaus Schönbach steht fest, dass jedes Medium eine bestimmt Funktion habe und somit eine Imitation des Fernsehens durch die Zeitung undenkbar sei. Eine vorsichtige Visualisierung, die Übernahme einzelner Elemente sei aber vorstellbar. In seinem Vortrag während der Journalisten-Wei-terbildung an der FU Berlin im Oktober 2000 bezeichnet er die Zeitung als Meta-Medium, das „einen unendlich großen Überblick über das Leben gibt, wenn man will". Nicht nur die Vielfalt an sich, sondern die kompetente Vorsortierung sieht er als Stärke der Tageszeitung an, andere Medien seien „enger" (Fernsehen und Radio) oder sortieren nicht vor (Internet).

 

3. MIT EINEM NOTEBOOK ERSCHLÄGT MAN (NOCH) KEINE FLIEGE

3. 1. Was zeichnet die Zeitung von Morgen aus?

Das Problem der Zeitung ist, dass ihre Stärke, ihre Universalität, zugleich ihre Schwäche ist. In Zeiten, in denen Medien für spezielle Interessen nur so aus dem Boden schießen, scheint die Zeit des Allrounders abgelaufen zu sein. Und so stehen die Medienforscher am Scheide-weg. Klaus Schönbach und Wolfram Peiser beschreiben zwei grundlegende Strategien:

Die Imitation von Medien, die mehr Erfolg zu haben scheinen, mit den Mitteln der Zeitung und einer verstärkten Werbung ist der eine Weg, wie von „USA today" herausragend praktiziert. Viele Fotos, Zeichnungen, Grafiken, Farbe, kurze Beiträge ein großes Angebot an unterhaltsamen Geschichten zeichnen diese Zeitung aus. Auch „unbundling" sei, so Schönbach, eine solche Strategie der Anpassung. Das aus den USA stammende Konzept erlaubt, verschiedene Teile der Zeitung einzeln zu abbonieren oder nur einzelne Ausgaben an bestimmten Tagen der Woche zu beziehen, was die „Magazinisierung" des Zeitungslesens erleichtert.

Die zweite Position benennt Schönbach als sogenanntes „Riepelsches Gesetz", das Besage: Medien überleben, wenn sie auf denjenigen Leistungen für ihr Publikum beharren, die sie besser anbieten können als ihre Herausforderer. Lokale Information, lokaler Service, lokales Forum und lokale Werbung sind dabei die Schlagworte (Klaus Schönbach, 1997, S. 14/15).

Möchte man also ein Konzept für eine Zeitung von Morgen entwerfen, muss man sich – so scheint es auf den ersten Blick - für eine der gegensätzlichen Strategien entscheiden. Gerade das aber, denke ich, würde der Zeitung ihren grundlegenden Wettbewerbsvorteil nehmen – nämlich ein universelles Medium zu sein, dass in Kerngebieten wie der lokalen Information eine Kompetenz wie kein anderer aufweist. Gibt man das eine – die Universalität – oder das andere – die regionale Anbindung – auf, dann verurteilt man die Zeitung über kurz oder lang zum Aussterben. Zeitung kann Special-Interest-Medien keine Konkurrenz machen, kann den Wettkampf um Aktualität gegen Fernsehen, Radio und Internet nicht gewinnen.

Aber: Muss sie das überhaupt? Zeitungsmacher sind sich sicher, das Internet als Massenmedium wird die Tageszeitung als Massenmedium nicht abzulösen vermögen, zumal man inzwischen selbst das Internet als Übertragungsmedium nutzt. Am 29. November 2000 waren laut Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger 369 Zeitungen mit einem Online-Angebot im Internet vertreten (http://www.bdzv.de/online/mainganz.htm). „Ich schließe mich diesbezüglich jenen an, die argumentieren, dass noch nie eine etablierte Mediengattung durch ein neues Medium abgelöst wurde. Die Zeitung wurde weder vom Radio noch vom Fernsehen abgelöst. Das Radio hat auch die Erfindung des Fernsehens überlebt und erfreut sich heute neuer Vitalität", äußert sich Wolfgang Bretschko, Geschäftsführung der „Kleinen Zeitung" in Graz, zuversichtlich. Handlungsbedarf sieht er trotzdem: „Die Zeitungen werden sich, ohne jeden Zweifel, ändern müssen. Die Nutzungsgewohnheiten der Leser werden sich ändern. Aber die Tageszeitungen haben das Potential, diese Veränderungen zu meistern und daraus neue Kraft zu schöpfen" (Redaktion, 2000, S. 27).

Die elektronische Verfügbarkeit von Zeitungsinhalten begann bereits Mitte der achtziger Jahre, und zwar zunächst damit, dass Zeitungen und Zeitschriften ihre Inhalte bzw. Archive als Datenbankdienste zugänglich machten, beschreibt Jürgen Wilke die Anfänge des „elektronischen Publizierens". Inzwischen gibt es stark variierende Angebote, angefangen bei Homepages mit Hinweisen auf den Inhalt der gedruckten Ausgabe, die Möglichkeit der Lektüre eines Teils der Artikel oder aber der kompletten Ausgabe des kommenden Tages im Internet, aber auch die Verlinkung weiterer Informationen mit Servicefunktionen. Verlage wie die WAZ (Cityweb) treten auch schon als eigene Provider mit Online-Angeboten auf. „In den Online-Angeboten der deutschen Tageszeitungen findet man – wegen fehlender Ressourcen – noch so gut wie keine zeitungsfremden Formate, also z. B. Audio- und Videosequenzen. ... Dagegen ist die Interaktivität bereits weitgehend üblich, zumindest in der Form, das Leserbriefe über E-Mail übermittelt werden", beschreibt der Autor den momentanen Stand (Jürgen Wilke, 1999, S. 757/759).

Allerdings gibt es neben den praktischen Umgangsproblemen – Honorierung von Internetbeiträgen für Angestellte und Freie Mitarbeiter an Tageszeitungen – auch weitere Bedenken gegen den Ausbau der Internet-Aktivitäten in der zur Zeit am meisten verbreiteten Form. Wenn nämlich Zeitungen weiter Texte ihrer Ausgabe in gleicher Form und Umfang ins Internet stellen, laufen sie Gefahr, weitere Leser zu verlieren. „Eine Frage, die das Internet verschärft hat, ist aus Zeitungssicht nicht zu unterschätzen. Warum soll für Inhalt bezahlt werden?" beschreibt Wolfgang Bretschko das Dilemma. Tageszeitungen und Magazine gehören zu den letzten Festungen, die es schaffen, für Inhalte Geld vom Endverbraucher zu verlangen und zu erhalten. „Dass für die Erstellung des Inhalts bei Tageszeitungen mehr Ressourcen notwendig sind als für die Erstellung einer Gratiszeitung, die einmal wöchentlich erscheint, mag als Argument noch einleuchten. ... Warum allerdings dieser kostbare Inhalt, meist noch bevor er in Form der klassischen Tageszeitung an die Frau und den Mann gebracht wird, via Internet gratis weltweit zur Verfügung gestellt wird, ist zur schwer zu argumentieren. ... es findet ein schleichender Erosionsprozess statt, der den Wert redaktioneller Inhalte nachhaltig beeinflusst. Dieser Prozess ist im Stande, die wirtschaftliche Basis einer Tageszeitung langsam aber sicher zu zersetzen" – diesen Feststellungen von Wolfgang Bretschko schließe ich mich voll inhaltlich an (Redaktion, 2000, S. 28/30). Ich behaupte, dass Online-Angebote nur Ergänzung, aber nicht Abklatsch des Print-Erzeugnisses sein dürfen, um das Ursprungsprodukt, die Zeitung, nicht zu gefährden. Wenn die komplette Ausgabe ins Internet gestellt wird, dann nur als zusätzliches Angebot ausschließlich für die Abonnenten, die dafür ein Passwort erhalten. Denn: Die Zeitung zeichnet sich dadurch aus, dass es nichts gibt, was ist wie sie. Man kann zwar mit einem Notebook keine Fliege erschlagen – wer weiß, vielleicht geht selbst das irgendwann –, wenn man aber in der Lage ist, sich kostenlos auf ein solches oder einen noch kleineren Handheld-Computer die komplette Zeitung zu laden, dann besteht eine Konkurrenz, die dem traditionellen Produkt auf Dauer wirklich gefährlich wird. Das haben auch Buchverlage wie Pawel-Moewig erkannt, der zwar sein Zugpferd, die Science-Fiction-Serie Perry Rhodan, ins Internet stellt, lesbar wird sie aber erst nach dem Erwerb eines sogenannten „Brain Cheques". Auf die Art gewinnt man neue Leser (und vor allem Käufer) hinzu, ohne alte zu verlieren, und wenn herkömmliche Leser zu den Internet-Lesern stoßen, entsteht dem Verlag kein Verlust.

 

3. 2. Journalisten – nicht mehr nur dem Tag verpflichtet

Bei aller Öffnung zu den neuen Medien – in einem haben Zeitungen tatsächlich Ähnlichkeiten mit den Dinosauriern, als die sie in der Informationsgesellschaft oft bezeichnet werden: Es fällt schwer, sie im Inneren zu verändern. Das fängt bei den Redakteuren an. Wer kennt sie nicht, die beiden Standard-Argumente, wenn es um Veränderungen geht?

„Das haben wir doch schon immer so gemacht!" und „Das haben wir doch noch nie so gemacht!", das ist der Punkt, an dem zaghaft vorgebrachte Veränderungswünsche oft schon im Ansatz scheitern. Dazu kommt eine große Qualifizierungs-Unlust unter Print-Journalisten. Die sind mit etwa 34 Prozent nämlich nur etwa halb so qualifizierungsaktiv wie Akademiker (61 Prozent) und schneiden noch schlechter ab als alle Erwerbstätigen (35 Prozent). Das führt dazu, dass die Weiterbildungsaktiven unter den Journalisten sich langsam alle persönlich kennen, da sie sich bei einschlägigen verlagsübergreifenden Veranstaltungen wie denen der Initiative Tageszeitung (ITZ) oder der Bundeszentrale für politische Bildung immer wieder begegnen. Claudia Blum, die seit 1992 am Deutschen Institut für publizistische Bildungsarbeit (Haus Busch) in Hagen tätig ist, folgert daraus, dass „Defizite bei Zeitungen offenbar anders kompensiert werden als durch Qualifizierung. Es ließe sich auch folgern, daß Journalisten Routinen ausbilden, daß Kreativität und Innovationen somit keine überragende Rolle spielen" (Susanne Schaefer-Dieterle, 1997, S. 102/103). Im weiteren zitiert Claudia Blum Stephan Ruß-Mohl, Leiter des Studienganges Journalisten-Weiterbildung der FU Berlin, der mit dem Ausspruch: „Bei uns kursiert immer noch das blödsinnige Argument vom learning on the Job" Journalisten ebenfalls einen geringen Lernwillen attestiert.

Dabei sind es gerade die gut ausgebildeten Journalisten, die der Tageszeitung eigentlich einen Vorsprung gegenüber dem Anzeigenblatt oder der Nachrichtensammlung im Internet verschaffen sollen. „Für die Zukunft der Zeitung sind daher qualifizierte und gut ausgebildete Redaktionen zentrale Wettbewerbsfaktoren. Umfassende Bildung und Allgemeinwissen der Mitarbeiter stellen die wichtigste Ressource der Zeitung im Kampf gegen die neuen Medien dar. Die Zukunft der Zeitung liegt gerade darin, dass sie angesichts der allgemeinen Segmentierung von Inhalten einen Kernbereich von General-Interest-Themen behauptet. Sie ist das einzige universelle Medium in dieser Zeit der Verspartung und Individualisierung", stellt Dr. Frank Meik unmissverständlich fest (Redaktion, 2000, S. 160). Woher kommt nun aber diese Bildungsmüdigkeit unter Journalisten, wo doch gerade dadurch ihr Job in Gefahr geraten könnte? Ist es die Tatsache, dass besonders in den neuen Bundesländern Lokalredaktionen meist sehr schlecht besetzt sind und aufgrund des Fehlens eines größeren Stammes freier Mitarbeiter Überstunden in Größenordnungen an der Tagesordnung sind? Man könnte zu dem Schluss kommen, wenn man die Beteiligung an bundesweit ausgeschriebenen (kostenlosen) Modellseminaren der Bundeszentrale für politische Bildung betrachtet. Meist liegt dort das Ost-West-Verhältnis bei nicht mehr als 20:80 Prozent, was angesichts des Weiterbildungs-Nachholebedarfs im Osten verwundert. Andererseits fehlt in vielen Häusern wohl auch die Ermutigung aus der Chefetage. Ein zur Weiterbildung weilender Mitarbeiter fehlt schließlich im Alltagsgeschäft, führt zu Mehrarbeit bei den anderen Kollegen und verschlechtert das ohnehin oft angespannte Betriebsklima noch stärker. Bevorteilt sind dann noch Mitarbeiter solcher Zeitungen wie der Thüringer Allgemeine, die mit ihrer Zugehörigkeit zur WAZ-Gruppe auch Anteil an der Journalistenschule Ruhr hat. Der Nachteil einer solchen hausinternen Weiterbildung, die inzwischen sogar in Ost- und West getrennt ist, liegt aber auf der Hand – Impulse von Außen bleiben oft aus, der Blick über den Tellerrand gelingt selten. Aber natürlich ist solch eine, vom Verlag finanzierte und damit auch nachdrücklich organisierte Weiterbildung besser als keine.

Ein weiteres Problem bei der Qualifizierung sieht Susanne Schaefer-Dieterle in der Planmäßigkeit der Weiterbildung: „Nur wenige Häuser machen sich die Mühe der systematischen Ermittlung von Qualifikationspotentialen in den Redaktionen. Die Bestandsaufnahme ist aber unerlässlich, um bedarfsgerechte Weiterbildungsprojekte in Abstimmung mit Redaktion und Verlag zu entwickeln". Dazu komme, dass das böse Wort vom Redaktionsbeamtentum hier und da durchaus seine Berechtigung habe. „Die Tarifverträge garantieren ein durchaus angenehmes Einkommen, das – vollkommen losgelöst von Einsatzbereitschaft und Leistung – regelmäßige Einkommenszuwächse vorsieht. ... Wer lange genug an seinem Redaktionsschreibtisch verharrt, rutscht automatisch in eine höhere Gehaltsstufe." (Susanne Schaefer-Dieterle, 1997, S. 75/76 u. 116). Auch Claudia Blum sieht hier ein Problem: „Aufstiegschancen in Redaktionen hängen nicht von aufgabenspezifischen Fähigkeiten ab. Redaktionen sind hierarchisch organisiert, sie reagieren schwerfällig auf Veränderungen. Leitende Positionen sind nicht rückholbar, engagierter Nachwuchs kann darüber versauern. So sind die Strukturen. Die Zeitungsredaktion als Organisation ist nicht auf Lernfähigkeit angelegt" (Susanne-Schaefer-Dieterle, 1997, 96).

Wo liegt der Ausweg? Wie kommt man heraus aus dem Traditions-Tretrad? „Abschied von Macht und Status" titelt Susanne Schaefer-Dieterle ihr Kapitel, in dem sie mit provozierenden Thesen die Abkehr von Statussymbolen und Titeln propagiert. Job-Rotation, zeitlich befristete Projekt-Verantwortung, leistungsgerechte Bezahlung sowie Gleichberechtigung von Fach- und Führungsaufgaben sind für sie die Kernpunkte neuer Redaktionsarbeit. „Das kritische Hinterfragen der eigenen Strukturen ist zur vordringlichen Führungsaufgabe geworden. Der Umbau eines klassischen Zeitungsverlages in ein wettbewerbsfähiges, kundenorientiertes Unternehmen fordert unendlich viel Zeit, Geld und Nerven – sowie die Veränderungsbereitschaft aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" (Susanne Schaefer-Dieterle, 1997, S. 119/120 u. 165).

Gerade auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also die Journalistinnen und Journalisten, kommt ein langer Lernprozess zu. „Im Jahre 2050 ist der Journalist nicht mehr, wie der Name nahe legt, dem Tag und der Tagesaktualität verpflichtet. Seine Aufgabe ist es, Zusammenhänge aufzuweisen, Deutungen anzubieten und die Urteilskraft der Leserschaft zu stärken. Er verkündet nicht, sondern bietet Interpretation und Sinn an", für Marlene Posner-Landsch wandelt sich das Berufsbild des Journalisten vom reinen Informations-Lieferanten zum Nutzwert-Beschaffer. Der Leser entscheidet, ob ihm die Zeitungslektüre etwas nutzt, informieren kann er sich schließlich aus weltweiten Datenbanken (Redaktion, 2000, S. 19).

Aber muss man da wirklich so weit voraus schauen? Ist nicht jetzt schon der Nutzwert das, wonach Leser ihre regionale Tageszeitung beurteilen? Nicht umsonst ist der Lokalteil mit seinem Service-Angebot die Nummer 1 unter den Tageszeitungs-Inhalten. Der Journalist im Lokalen ist stellvertretend für seine Leser unterwegs, soll nicht nur informieren, sondern auch hinterfragen. Lebenshilfe, Beratung, Tipps für die Freizeitgestaltung, Hintergrundinfor-mationen – das ist es, was Leser sich wünschen, was aber mit Terminjournalismus nicht zu verwirklichen ist. Bei gestiegenen Seitenumfängen im Lokalen, aber nicht in gleichem Maße gestiegenen Personalbesetzungen fällt das schwer. Insofern kann der Wunsch des Lokaljournalisten allein noch nicht alles bewirken. Aber er muss anfangen, Konzepte entwerfen und so den Verleger bewegen, auch etwas für die Zeitung der Zukunft zu tun.

Den Nutzwert einer Zeitung, so Cornelia Tomaschko, mache natürlich auch aus, ob die Leser in der Zeitung etwas Neues erfahren, worüber sie sich mit anderen Menschen unterhalten können. Dennoch seien es nicht nur die Neuigkeiten, sondern das ganze Paket von Anzeigen, Veranstaltungskalender, ausführlichen Vorberichten zu Ereignissen und gründlicher Hintergrundberichterstattung, was über Kauf oder Verzicht entscheidet. (Lokaljournalismus, 1998, S. 255). So lesenswert die Konzertkritik auch sein mag, es nutzt dem Leser mehr, wenn er vorher darüber informiert wird, was ihn eigentlich erwartet. Manche Kollegen neigen zur Ätsch-Mentalität, wenn sie dem Leser nach dem erstklassigen Theaterabend mitteilen, wie blöd der doch eigentlich war, ihn sich nicht anzusehen. Ärgert sich der Leser wirklich darüber, etwas verpasst zu haben, wird er irgendwann auf die Frage kommen, ob ihn denn seine Heimatzeitung über diesen kulturellen Höhepunkt vorher ausreichend informiert hat. So verständlich der Wunsch des Kollegen nach einem Vierspalter ist, der fünf Stunden Stadtrat hinter sich gebracht hat, so allgegenwärtig sollte die Frage sein, was es dem Leser nutzt, wenn man ihn mit dem Kleinkram der Damen und Herren Abgeordneten, den Spitzfindigkeiten und Reibereien in Kontakt bringt. Ein Kommentar, verbunden mit mehreren, ruhig auch über Tage gestreuten Hintergrundartikeln über die Auswirkungen der einzelnen Beschlüsse ist mit Sicherheit nützlicher. Natürlich darf man Zeitung nicht nur unter dem Aspekt des Nutzwertes betrachten. Aber gerade der ist es, den andere Medien den Lesern auf der untersten Ebene gesellschaftlichen Lebens, in den Städten und Gemeinden unseres Verbreitungsgebietes, so nur die Zeitung bieten kann. Wie schon erwähnt – das Rennen um die Aktualität kann eine Tageszeitung nicht gewinnen. Deshalb sollte der Journalist im Lokalen tatsächlich die innere Verpflichtung ablegen und nur das als berichtenswert betrachten, was tagesaktuell ist.

 

3. 3. Zeitung als Markenartikel

Noch heute, mehr als zehn Jahre nach der Umbenennung von „Das Volk" in „Thüringer Allgemeine" gibt es nicht wenige ältere Leser, die sagen, wenn sie zur Zeitung gehen, sie gehen „ins Volk". Das zeigt doch, wie sehr diese Menschen über die Jahrzehnte, die sie fast jeden Tag mit „ihrer" Zeitung verbracht haben, mit dem Produkt verwachsen sind. Tageszeitung bekommen nach vor wie den höchsten Wahrheitsgehalt unter den Medien zugesprochen. Wenn man hört, wie sich Leser über etwas Unerwartetes unterhalten und der eine dem anderen, Unglauben äußernden zurecht weist mit: „Es hat doch aber in der Zeitung gestanden", dann bekommt man einen Eindruck von dem, was Zeitung sind: Markenartikel mit einem hohen Bindungsfaktor. Das, wofür Hersteller von Konsumartikeln oft mit millionenschweren Werbekampagnen kämpfen, nämlich ihr Produkt zu einer Marke zu erheben, das haben Zeitungen über die Jahre und Jahrzehnt fast unbemerkt erreicht. „Auf Tagungen, Kongressen und Seminaren reden sich Produktmanager und Kommunikationsprofis über die Kraft der Marke die Köpfe heiß. Nur das Gros der deutschen Zeitungsverleger, und erst recht nicht die überwiegende Mehrzahl der Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen, leisten sich den Luxus unguter Gefühle, wenn vom Markenartikel Zeitung die Rede ist", kritisiert Susanne Schaefer-Dieterle die antiquierte Meinung der Medienlandschaft. Natürlich seine Zeitungen kein Waschmittel, erläutert sie weiter aber die Grundsätze der Markenführung wie Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik lassen sich auch für Zeitungsverlage anwenden. (Susanne Schaefer-Dieterle, 1997, S. 19/20).

Stern und Spiegel betreiben die Markenpflege und die Weitergabe an neue Produkte schon seit Jahren nicht nur mit ihren TV-Ablegern erfolgreich. Auch im Fernsehen selbst wird das deutlich bei RTL, Super-RTL und den zahlreichen ausländischen Namensträgern. Wolfgang Bretschko hat eine Erklärung dafür, dass Zeitungsverlage sich so schwer tun mit dem Markenbegriff: „Dass Medien erst allmählich als Marken entdeckt werden , liegt auch an der traditionellen Marketinglehre, die nur abgepackte, identische und markierte Waren als Markenartikel versteht. Tatsächlich stellen Medien wegen ihrer speziellen Eigenarten hohe Anforderungen an die Markenanalyse". Aber obwohl jede Ausgabe einer Tageszeitung sich von allen anderen unterscheide, werde die dennoch von Lesern und Inserenten als einheitliche Marke erlebt und begriffen (Wolfgang Bretschko, Redaktion, 2000, S. 32). Die Zeitung habe jedenfalls die besten Anlagen, ein erfolgreicher Markenartikel zu sein, meint Susanne Schaefer-Dieterle. Für sie spreche die Tradition des guten Namens, eine langfristige Kundenbindung, ein konkreter Nutzen, das Angebot von Qualitätsjournalismus und die Chance der ständigen Erneuerung, inhaltlich wie optisch (Susanne Schaefer-Dieterle, 1997, S. 21). Das sieht die werbetreibende Wirtschaft ähnlich, die der Zeitung hervorragende Kontaktqualitäten, darunter eine große Bindungsstärke und hohe Glaubwürdigkeit, bescheinigt. Und auch einen Vorteil gegenüber konkurrierenden Medien: Die Zeitung ist ein Werbeträger, mit dem man kurzfristig fast die gesamte Bevölkerung erreichen kann. Sie wird lange, intensiv und vor allem am Vormittag genutzt. Damit ist sie für den Leser ein ideales Mittel zur Vorbereitung auf den Tag und zur Einkaufsplanung (Zeitungsqualitäten 1998/99, 1999, S. 39). Um diese Vorteile nutzen zu können, muss Tageszeitung aber auch das bleiben, was sie ist – ein Qualitätsprodukt. Nicht nur das Erzeugnis muss bei aller Traditionspflege dem Zeitgeist angepasst werden, auch die Macher in Verlag und Redaktion müssen sich von alten Gewohnheiten verabschieden. Eine Marke zu besitzen und eine Marke zu pflegen sind zwei unterschiedliche Dinge. Markenpflege, das bedeutet, auf der Grundlage von Konzeptionen täglich ein Produkt zu erstellen, für das man auch selber als Konsument Geld ausgeben würde.

 

4. SCHLUSS

Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen: Auch in der Entscheidung zwischen zwei gegensätzlichen Konzepten – die Anpassung an andere Medien oder der Rückzug auf eigene Stärken – muss Zeitung beweisen, dass sie in der Lage ist, als Meta-Medium alle Bereiche zu vereinen. Die Regionalzeitung der Zukunft ist ein universelles Produkt mit einem ganz konkreten Schwerpunkt, dem Lokalen. Journalisten sind zwar auch weiterhin Sammler von Informationen, aber noch in viel stärkerem Maße Bearbeiter. Der Nutzwert steht im Vordergrund. Die Zeitung von Morgen macht die Meinung der Macher deutlich, bezieht Stellung, ist aber zugleich Forum der Leser. Der Journalist von Morgen ist qualifiziert, verwurzelt in der Region, in der er arbeitet und vertraut mit den Problemen, über die er schreibt. Internetauftritte von Tageszeitungen dienen als Zusatzangebot für Abonnenten, das wertvollste Gut der Regionalzeitung, die lokale Information, wird nicht verschleudert. Zur täglichen Arbeit gehört das Verständnis, dass man für ein Markenprodukt tätig ist, dessen Konsumenten sehr sensibel auf Qualitätsschwankungen reagieren. Der Leser der Zukunft muss nicht mehr Zeitung lesen, weil es in seinem Lebensumfeld „dazugehört". Er liest, weil ihm das, wofür er Geld bezahlt, auch etwas bringt. Eine Erweiterung seines Horizontes, den Kontakt mit Meinungen der Journalistinnen und Journalisten oder der anderer Leser, oder schlicht und einfach nur den Tipp für das kulturelle Angebot in seiner Heimatstadt oder seinem Landkreis. Zeitung von Morgen muss den Wunsch der Konsumenten nach mehr Hintergrundinformationen bis hinunter auf die lokale Ebene bedienen, muss in einer globalisierten Welt helfen, große Zusammenhänge bis auf den kleinen Aspekt zu reduzieren, der für die Frau oder den Mann aus dem Haus um die Ecke bedeutsam ist. Eins steht fest: Der Markt für Tageszeitungen wird härter werden. Weniger durch Konkurrenten des gleichen Mediums, vielmehr durch lokale Rundfunk und Fernsehstationen. Je weiter die Technik voranschreitet, desto größer – und vor allem preiswerter und damit profitabler – werden die Möglichkeiten, lokale Informationen bis in die kleinsten Einheiten der Gesellschaft zu transportieren. Wenn es der Zeitung gelingt, eine behutsame Imitation erfolgreicher Elemente konkurrierender Medien und den Ausbau ihrer Stärken – lokale Stärke, kompetente Vorsortierung und Universalität in einer spezifizierten Welt – zu kombinieren, dann wird die Tageszeitung auch künftig ihren festen Platz in der Medienlandschaft haben.

Thomas Becker

November/Dezember 2000

 

5. LITERATURLISTE

Blum, Claudia, Weiterbildung ohne jedes Konzept, in: Susanne Schaefer-Dieterle, Zeitungen – Markenartikel mit Zukunft, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 1997, S. 95-114.

Bretschko, Wolfgang, Welche Zukunft hat die Tageszeitung? In: Redaktion – Almanach für Journalisten, Initiative Tageszeitung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2000, S. 27-32.

Brettschneider, Andrea, Das Stiefkind im Media-Mix, in: Susanne Schaefer-Dieterle, Zeitungen – Markenartikel mit Zukunft, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 1997, S. 59-65.

Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, Online-Angebote deutscher Zeitungen, http://www.bdzv.de/online/mainganz.htm

Golombek, Dieter, Die bessere Lokalzeitung, in: Projektteam Lokaljournalisten, Lokaljournalismus – Themen und Management, Paul List-Verlag GmbH & Co. KG München, München, S. 9-19.

Dr. Held, Barbara, Vortrag Kommunikationswissenschaftliches Seminar I, Journalisten-Weiterbildung Freie Universität Berlin, 29. Oktober 2000.

Journalist – Bilanz und Vision, Sonderausgabe zu 50 Jahr Deutscher Journalisten-Verband als Beilage zu Journalist, Dezember 1999, Bonn, S. 66-69.

Dr. Meik, Frank, Nicht am falschen Ende sparen, In: Redaktion – Almanach für Journalisten, Initiative Tageszeitung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2000, S. 159-161.

Posner-Landsch, Marlene, Ist die Zeit der Zeitung vorbei?, In: Redaktion – Almanach für Journalisten, Initiative Tageszeitung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2000, S. 17-19.

Schaefer-Dieterle, Susanne, Vom Chefredakteur zum Redaktionsmanager, in: Susanne Schaefer-Dieterle, Zeitungen – Markenartikel mit Zukunft, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 1997, S. 69-76.

Schaefer-Dieterle, Susanne, Abschied von Macht und Status, in: Susanne Schaefer-Dieterle, Zeitungen – Markenartikel mit Zukunft, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 1997, S. 115-121.

Schaefer-Dieterle, Susanne, Die Herausforderungen der Zukunft, in: Susanne Schaefer-Dieterle, Zeitungen – Markenartikel mit Zukunft, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 1997, S. 161-173.

Schaefer-Dieterle, Susanne, Zeitungen sind Markenartikel, in: Susanne Schaefer-Dieterle, Zeitungen – Markenartikel mit Zukunft, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 1997, S. 17-32.

Schönbach, Klaus u. Peiser, Wolfram, Zeitungen in den Neunzigern: Faktoren ihres Erfolgs, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 1997 S. 9-21.

Schönbach, Klaus, Vortrag Kommunikationswissenschaftliches Seminar I, Journalisten-Weiterbildung Freie Universität Berlin, 29. Oktober 2000.

Tomaschko, Cornelia, Was wollen die Leser?, in: Projektteam Lokaljournalisten, Lokaljournalismus – Themen und Management, Paul List-Verlag GmbH & Co. KG München, München, S. 254-259.

Wilke, Jürgen, Veränderung „alter" Medien in: Jürgen Wilke, Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1999, S. 757-759.

Zeitungen ’99, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 1999, S. 71.

Zeitungsqualitäten 1998/99, ZMG Zeitungs Marketing Gesellschaft, Frankfurt am Main, 1999, S. 39.

 

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