Mehr Informationen zum Thema unter: www.georg-elser-arbeitskreis.de

 

Freie Universität Berlin
Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Studiengang Journalisten-Weiterbildung
Fernstudieneinheit Geschichte 2000

 

Widerstand gegen einen Widerständler: Georg Elser

Arnstadt, Juli/August 2000

 

1. EINLEITUNG

Hans und Sophie Scholl, Ernst Thälmann, Claus von Stauffenberg – diese und wenige andere Namen kommen in den Sinn, wenn die Rede vom Widerstand im Nationalsozialismus ist. Kommunisten, Sozialdemokraten, Kirchenvertreter und Militärs – wo aber blieb der „Durchschnittsbürger"? „Widerstand bezeichnet ein politisches Verhalten, das sich gegen eine als bedrohlich und nicht legitim empfundene Herrschaft richtet", lautet die Definition im Politik-Lexikon des Dietz-Verlages (Schubert/Klein, 1997, S. 317). Setzt dieses politische Verhalten voraus, dass man auch politisch aktiv ist, bevor man Widerstand leistet? Gab es niemanden, der einfach aus dem gesunden Menschenverstand heraus – ohne Unterstützung durch eine übergreifende Ideologie oder eine Organisation – gegen ein System opponierte, das schon früh als erklärtes Ziel den größten Völkermord der Geschichte hatte? Man mag einwenden, dass viele Deutsche vom Ausmaß der Judenverfolgung, von den Konzentrationslagern und den darin verübten Gräueln keine oder nur sehr wage Ahnungen hatten. Aber was Krieg war, das wussten doch wohl alle?! Wo waren sie, diejenigen, die sich gegen die Gleichschaltung, gegen den Militarismus zur Wehr setzten?

Es gab sie, und nicht nur aus den Kreisen der Geistes- und anderer Wissenschaften, sondern auch im einfachen Volk. Der Schreiner Georg Elser verübte am 8. November 1939 ein Attentat auf Adolf Hitler. Es scheiterte, weil der Diktator wegen Nebels nicht das Flugzeug, sondern den Zug benutzte, so seine Rede verkürzte und 13 Minuten vor der Explosion der von Elser gefertigten Bombe den Saal im Münchener Bürgerbräukeller verließ. Acht Menschen starben, Elser wurde gefasst, verhaftet und kurz vor Kriegsende ermordet. Wer war dieser Mann, der fast die Weltgeschichte verändert hätte? War er ein verantwortungsloser Spinner, der das Leben Unschuldiger für einen privaten Rachefeldzug aufs Spiel setzte? Oder war er ein Mann mit Weitblick, der schon Ende der dreißiger Jahre ahnte, welches Unheil Hitler über die Welt bringen wird?

In jedem Fall war und ist Georg Elser eine Person, deren Einordnung für Diskussionen sorgt. Historiker stritten und streiten sich über seine Tatmotive, lange Zeit wurde er in Ost und West tot geschwiegen. Erst Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre wurde seine Tat neu bewertet. Was also führte Elser dazu, einen Bombenanschlag auf den zu diesem Zeitpunkt von fast einem ganzen Volk verehrten Führer zu unternehmen? Wie kommt ein Einzelner dazu, seinen Widerstand gegen eine Entwicklung auf solch eine drastische Art zum Ausdruck zu bringen? Und warum wurde das Hitler-Attentat des Georg Elser so lange Zeit aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit entfernt?

Das sind Fragen, denen ich in dieser Arbeit u. a. nachgehen möchte. Es gibt wohl kaum eine Person aus dem Feld des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, die so widersprüchlich beurteilt wird wie Georg Elser. Auch mir war zwar sein Name schon längere Zeit geläufig, seiner Geschichte näherte ich mich aber erst seit dem Historikerstreit im Dresdener Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT), ausgelöst durch einen Beitrag von Lothar Fritze in der Frankfurter Rundschau vom 8. November 1999, an.

 

2. DAS RECHT ZUM WIDERSTAND

2. 1. Formen des Widerstands im Nationalsozialismus

„Das immer perfekter arbeitende System des Terrors zog enge Grenzen für regimegegnerische Aktivitäten. Andererseits gab es, wie die vielen Bekundigungen des Missfallens gegen den Boykott jüdischer Geschäfte 1933, gegen den Novemberpogrom 1938 oder gar der Protest in der Berliner Rosenstraße 1943 zeigen, Möglichkeiten, Opposition zu leisten, die mindestens die Wirkung hatte, die Machthaber zu beunruhigen" (Informationen zur politischen Bildung Nr. 243, 1994, S. 22). Von der Verweigerung bis zum offenen Protest, von Sabotage bis zum Attentat wurde das gesamte Spektrum des Widerstandes auch in Zeiten des Nationalsozialismus in Deutschland genutzt. Rudolf Stöber greift in seinen Ausführungen zur Geschichte der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland die Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Widerstand, zwischen Protest und oppositioneller Grundhaltung auf und bezieht sich dabei auch auf deren Anwendung zwischen 1933 und 1945: „Die Formen und Möglichkeiten des aktiven Widerstands waren beschränkt. Attentate sind wenige überliefert, offener Aufstand und Überfälle für Deutschland gar nicht" (Rudolf Stöber, 1996, S. 186). In erster Linie machten die Deutschen, wenn überhaupt, unter dem Druck des nationalsozialistischen Schreckensregimes von den Möglichkeiten der Sabotage, von Desertion, Rücktritt aus politischen Ämtern oder Befehlsverschleppung Gebrauch. „Der Widerstand gegen Hitler war keine einheitliche Bewegung. Wie die Formen des Widerstandes vielgestaltig waren, so waren auch die Begründungen, mit denen man ein Recht auf Widerstand in Anspruch nahm" (Hans Maier, 1994, S. 33). Die Frage der Anwendung von Gewalt als Form des Widerstandes wurde selbst in christlichen Kreisen kontrovers diskutiert. Welche Form des Widerstandes der Einzelne wählte, war von seinem Mut, seiner Grundeinstellung und natürlich von seinen Möglichkeiten abhängig. „Grundsätzlich hatten ausgewiesene Gegner des Nationalsozialismus wenig Möglichkeiten, da sie von vielen kritischen Augen und Ohren überwacht wurden", unternimmt Rudolf Stöber einen weiteren Erklärungsversuch der Tatsache, dass von einer Widerstandsflut zu keinem Zeitpunkt des Nationalsozialismus die Rede gewesen sein kann. „Daß viele Widerstandsaktionen vergeblich waren, kann die Ignoranz oder Apathie gegenüber dem Unrecht nicht legitimieren; umgekehrt lassen die Hindernisse den Widerstand der wenigen aber um so mutiger erscheinen (Stöber, 1996, S. 190).

2. 2. Wer kennt schon seine Rechte?!

In Deutschland ist das Recht auf Widerstand im Grundgesetz verankert. „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist" heißt es in Artikel 20, Absatz 4, des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. „Diese Ordnung", das bedeutet die in den vorausgegangenen drei Absätzen des Artikels 20 festgelegten Grundsätze der Verfassungsordnung: Demokratie, Bundesstaat, Rechtsstaat und Sozialstaat. Dabei kann sich Widerstand im Sinne des Grundgesetzes durchaus auch gegen die Regierung richten, selbst Gewaltanwendung ist nicht ausgeschlossen. Davor allerdings gilt es, alle Möglichkeiten rechtsstaatlicher Mittel, also z. B. die Anrufung von Gerichten, auszuschöpfen.

Diese Möglichkeit hätte natürlich auch Georg Elser offen gestanden. Er hätte seine Bedenken gegen Hitler und den Nationalsozialismus offen vorbringen können. Dann aber wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit wirklich einer der Namenlosen, die in den Konzentrationslagern umkamen. So machte „nur" die Geschichtsschreibung lange Zeit einen Bogen um den Mann, der für seinen Widerstand die wohl radikalste Form, die des Attentates, wählte. Bemerkenswert ist, dass sich Historiker nicht über die Tatsache streiten, dass Hitler diesem Attentat hätte zum Opfer fallen können, dass also quasi ein Tyrannenmord verübt wird, sondern darüber, dass Unbeteiligte ums Leben kamen. So schrieb der Chemnitzer Privatdozent Lothar Fritze am 8. November 1999, dem 60. Jahrestag des missglückten Sprengstoffattentates, in der Frankfurter Rundschau auf Seite 9: „An dem Vorgang verwundert zunächst, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Mann geehrt wird, obwohl er den Tod von acht Menschen schuldhaft verursacht hat". Fritze spricht Elser „politische Beurteilungskompetenz" ab, auch wenn er das Ziel des Attentates als „akzeptabel" bezeichnet (Frankfurter Rundschau, 1999, Seite 9).

Ist Elser tatsächlich zu weit gegangen? Hat er unüberlegt und vorschnell gehandelt? Allein die Tatsache, dass er das Attentat über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr vorbereitete, spricht gegen letztere Annahme. Wenn jemand über solch einen langen Zeitraum akribisch eine Aktion vorbereitet, bei der allein die Vorbereitung schon ein extrem hohes Risiko darstellt, dann kann man ihm nicht vorwerfen, gedankenlos einer Augenblickslaune gefolgt zu sein. Das Recht zum Widerstand, wenn für ihn überhaupt ein solches existierte, ergab sich für Elser nicht vordergründig aus dem Problem der persönlichen Verfolgung und Unterdrückung, sondern aus der Gefahr für sein Vaterland. Insofern wird Georg Elsers Handeln zumindest nachträglich durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland legitimiert.

 

3. HELD ODER MÖRDER – GEORG ELSER

3. 1. Georg Elser – nicht nur „Einer aus Deutschland"

Georg Elser ist zweifelsohne im Sinne der Rechtssprechung ein Mörder. Durch die von ihm gebaute und platzierte Bombe starben am 8. November 1938 im Münchener Bürgerbräukeller acht Menschen. Was aber brachte den 1903 im Württembergischen geborenen Elser dazu, sich zu einem Richter und Henker zu entwickeln, der den führenden Mann des Staates zum Tode verurteilt hatte und ihn umbringen wollte? Politischer Ehrgeiz war es ebenso wenig wie eine von den Nazis vermutete Steuerung von außen oder eine von Außen vermutete Selbstinszenierung der Nationalsozialisten ähnlich der des Reichstagsbrandes. Es waren mehrere Mosaiksteine, die Elsers Bild von Adolf Hitler und der durch ihn gesteuerten Bewegung prägten. Das Protokoll der Gestapo, erstellt bei Verhören zwischen dem 19. und 23. November 1939, verrät viel über die Hintergründe des Attentates. Niedrigere Löhne und höhere Abzüge, die Einschränkung der religiösen, aber auch der ganz normalen Alltags-Freiheiten sowie der drohende Krieg waren es, die Georg Elser zum Gegner Hitlers und letztlich zum Attentäter machten. „Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge. ... Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte. Hierzu wurde ich von niemandem angeregt, auch wurde ich von niemandem beeinflusst" (Die Zeit, Nr. 42, 1999, S. 38). Für die Vorbereitung und die Durchführung seines Planes galt es auch für Georg Elser, eine moralische Grenze zu überwinden. „Jeder, der einem Tyrannen widersteht, hat . . . zuvörderst abzuwägen, ob nicht das aus dem Widerstandsakt folgende und geradezu unvermeidliche Chaos noch größere Opfer als die weitreichende Duldung und das Erleiden des bisherigen Schreckens verlangt", diese hohe Hürde legte die moderne Staatslehre an den Widerstand (Steinbach/Tuchel, 1994, S. 30). Georg Elser hat seine Abwägung getroffen. „Ich wollte ja durch meine Tat ein noch größeres Blutvergießen verhindern", so seine Aussage im Gestapo-Protokoll (Informationen zur politischen Bildung Nr. 243, 1994, S. 24). Das größere Blutvergießen, das war der aus seiner Sicht unvermeidliche Krieg: Nimmt man an dieser Stelle Bezug auf oben erwähnten Vorwurf des Historikers Lothar Fritze, dann muss man natürlich die Frage der Beurteilungskompetenz als berechtigt zulassen. Ist aber Stauffenberg ein besserer Attentäter, nur weil er vorher lange genug an Hitlers Seite kämpfte? Ohne Frage ragt Elsers Tat aus dem Spektrum des Widerstandes gegen Hitler heraus, der sich hauptsächlich als passiver Widerstand darstellte. Hat aber deshalb Elser das ihm zustehende Recht auf Widerstand überstrapaziert?

Natürlich gab es im Nationalsozialismus auch bei politischen und kirchlichen Gruppierungen Überlegungen in Richtung eines Attentates. Allerdings setzte sich dort oft die Meinung durch, dass man erst die Bevölkerung aufklären und gegen die Nazis mobil machen muss, um nicht durch ein Attentat die Sympathien für den Angegriffenen noch weiter zu erhöhen, wie es sich ja auch nach Elsers missglücktem Attentat darstellte. Aber auch die Strategie der Mobilmachung funktionierte nicht, da es Hitler und seinen Helfershelfern gelang, große Teile der Bevölkerung auf ihre Seite zuziehen. „Widerstand blieb schon deshalb die Angelegenheit einer Minderheit, weil die Nationalsozialisten auch innerlich oppositionell Eingestellten eine gewisse Teilidentifizierung mit dem Regime ermöglichten", beschreibt Rudolf Stöber das Problem der Opposition, Mitstreiter zu finden. Hitlers Außen-, Arbeitsmarkt- und Rompolitik sowie die Besinnung auf die deutschen Tugenden Zucht und Ordnung sowie die große Zahl an Posten, die in der NS-Organisation zu vergeben waren, verringerten außerdem die Breitenwirkung des Widerstandes (Stöber, 1996, S. 188/189). Die Gedankengänge Elsers, in den 1969 von den Historikern Lothar Gruchmann und Anton Hoch eingesehenen Gestapoprotokollen detailliert beschrieben, sind nachvollziehbar. Ähnliche Gedanken mögen auch viele andere Deutsche gehabt haben, die sich ihren gesunden Menschenverstand bewahrt hatten. Was Georg Elser aus der Masse heraushebt, ist die Tatsache, dass er seine Gedanken nach detaillierter Planung auch in die Tat umzusetzen versuchte. Das macht ihn, um den Titel des mit Klaus Maria Brandauer besetzten Filmes umzusetzen, eher zu einem aus Deutschland im Sinne von einzigartig als zu einem im Sinne des x-beliebigen.

3. 2. Spätes Andenken für einen „anonymen Helden"

Anlässlich der 60. Wiederkehr des Attentates titelte Wilfried F. Schoeller seinen Beitrag über Georg Elser im Tagesspiegel mit „Der anonyme Held". Darin nimmt er unter anderem Bezug auf die lange Zeit, nach der die Tat Elsers erst in das richtige Licht gerückt wurde. „Die Nachwelt ist von den Nazi-Legenden über Elser erst in den siebziger Jahren losgekommen. Eine trübe Rolle spielte auch der Mithäftling Martin Niemöller, der Elser als SS-Mann verleumdete. Die Legenden waren die Antwort der wilden Fantasie auf die Unbegreiflichkeit, dass ein einzelner diese Tat wagte und ausführte – auf nichts gestellt als auf seine Entschlossenheit, seinen Mut und ein hohes Maß technischer Fertigkeiten" (Tagesspiegel, 8. November 1999). Auch Stefan C. Dickmann beschreibt in seinem Beitrag im Hamburger Abendblatt den „vergessenen Widerstandskämpfer" und die Probleme der Nachwelt, mit Elsers Tat umzugehen: „Es dauerte 59 Jahre, bis in Elsers Heimatdorf Königsbronn bei Ulm im Januar 1998 zu seinen Ehren ein Museum eingerichtet wurde. ... In Elsers Familie hat dessen mutige Tat bis heute Narben hinterlassen. Seine drei inzwischen verstorbenen Schwestern haben ihn tabuisiert". Dickmann zitiert im weiteren Elsers Neffe Franz Hirth und bringt so das ganze Dilemma zum Vorschein: „Die Männer und Frauen des 20. Juli 1944 sind Widerstandskämpfer und werden jedes Jahr vom Staat geehrt. Mein Onkel ist – obwohl er inzwischen rehabilitiert wurde – noch immer der Attentäter" (Hamburger Abendblatt, 6. November 1999). Die Verbitterung, die aus diesen Worten klingt, erhält auch heute noch Nahrung. So wird Georg Elser im 1994 von Peter Steinbach und Johannes Tuchel herausgegebenen Buch „Widerstand gegen den Nationalsozialismus" (erschienen in Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung) nur an einer Stelle erwähnt, und zwar in dem Zusammenhang, dass Heinrich Himmler die Anweisung zu Elsers Ermordung herausgab. Gerade einmal eine Straße in Deutschland – und zwar in Hermaringen 1984 – wurde nach Georg Elser benannt. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass im Neunkirchener Stadtteil Sinnerthal eine Straße nach dem Sozialdemokraten Wilhelm Jung benannt ist. Jung hatte kein Attentat auf Hitler verübt, sondern war wegen einer wohlwollenden Äußerung über Elsers Attentat festgenommen und schließlich ermordet worden.

Gerechtigkeit versucht indes die 1999 erschienene Biografie „Den Hitler jag ich in die Luft" Elser zuteil werden zu lassen. Nicht nur, weil er einer der wenigen war, die sich schon in früher Zeit aktiv gegen Hitler gestellt haben, ist Georg Elser für Autor Helmut G. Haasis ein stiller Held. „Nachkriegsdeutschland hat lange Zeit die Berechtigung des Attentates nicht zugeben wollen und sich zur Selbstentlastung der acht ,unschuldigen’ Opfer bedient", zitiert Wilhelm von Sternburg Haasis, der mit seiner Biografie über den Attentäter Georg Elser das Bild über einen „unideologischen Idealisten, ... der sich weigerte, die Zerstörung moralischer Werte zu akzeptieren" gerade zu rücken versucht (Die Zeit, Nr. 42, 1999, S. 38). Den Begriff des Helden verwendet auch der Schriftsteller Rolf Hochhuth: „Ich benutze dieses Wort Held zum ersten Mal, seit ich schreibe; denn wenn es unter den Deutschen im 20. Jahrhundert einen Einzelnen gab, der ein Held war, dann dieser einsame Schwabe" (Hamburger Abendblatt, 6. 11. 1999).

Bei Elsers Beurteilung waren sich die sonst in ihren Thesen über den Nationalsozialismus oft so weit entfernten Historiker in der BRD und der DDR einig – man ging ihr einfach aus dem Weg. „Die DDR-Historiker schwiegen sich über diesen ideologisch nicht einzuordnenden Einzelgänger völlig aus, zumal die Tat geschah, als Hitler mit Stalin verbündet war. Haasis ... beschämt auch die bürgerliche Geschichtsschreibung, die sich lange weigerte einen Mann zu akzeptieren, der aus ihrer Sicht ... das frühzeitig zu tun versuchte, wozu die deutschen Eliten aus Militär, Adel und Großbürgertum nicht fähig waren", schreibt Wilhelm von Sternburg in seinem Beitrag über die Elser-Biografie von Hellmut G. Haasis (Die Zeit, Nr. 42, 1999, S. 38). In der DDR-Wissenschaft stand der kommunistische Widerstand im Vordergrund. „Widerstand von Menschen und Gruppen mit einem anderen politischen und weltanschaulichen Hintergrund, wie ihn beispielsweise der Kreis des 20. Juli 1944 hatte, nahm dagegen eine periphere Position ein" (Ines Reich, 1994, S.557). Peter Steinbach analysiert in seinem Beitrag „Widerstandsforschung im politischen Spannungsfeld", dass die Würdigung des Widerstands gegen Hitler und den nationalsozialistischen Unrechtsstaat seit 1945 unübersehbaren Schwankungen unterworfen war. „Auch wenn sich die deutschen Politiker in Ost und West stets auf Widerstandsgruppen bezogen und den Anspruch erhoben haben, aus deren Zielen Orientierungen für die Gegenwart abzuleiten, so erstreckte sich die beschworene Übereinstimmung doch in der Regel jeweils nur auf Teilgruppen der deutschen Widerstandsbewegung. In der DDR wurde bis in die siebziger Jahre hinein der kommunistische antifaschistische Widerstand beschworen, während in der Bundesrepublik bis weit in die sechziger Jahre vor allem die Verschwörer des 20. Juli 1944 als Widerstandskämpfer gefeiert wurden" (Peter Steinbach, 1994, S. 597). Für einen Mann wie Georg Elser war in der Geschichtsschreibung beider deutschen Staaten lange Zeit kein Platz. Die DDR-Historiker konnten das nicht mehr aufholen, in der Bundesrepublik schwelt der Streit nach dem Fritze-Beitrag in der Frankfurter Rundschau weiter, ob Elser denn nun ein Held oder ein Mörder war.

 

4. SCHLUSS

Auch wenn mit dem von Lothar Fritze ausgelösten Historikerstreit die Diskussion neu entfacht wurde, scheint sich doch inzwischen in Fachkreisen die Meinung durchzusetzen, dass man Georg Elser sehr wohl in den „gehobenen" Widerstandskreis aufnehmen und in einem Atemzug mit den Geschwistern Scholl, Stauffenberg und anderen nennen darf und muss. Seine Tat war von dem Bestreben gelenkt, Verderben vom deutschen Volk fernzuhalten. Dass solcherart bis zum – wenn auch nicht erfolgreichen – Abschluss durchgezogene Zivilcourage nicht jedermann geheuer ist, kann nachvollzogen werden. Schließlich kann auch heutzutage jeder anhand der vielfältigsten Informationen auf die Idee kommen, nur durch den Tod des einen oder anderen Staatsmannes die Welt retten zu können. Im Falle Elsers haben wir aber den Vorteil, zu wissen, was passiert ist, da sein Attentat scheiterte. Allein dieses Wissen müsste schon reichen, um seine Tat zu rechtfertigen, auch wenn dabei acht Menschen, egal ob Nationalsozialisten oder nicht, ums Leben kamen. Noch dazu, wenn man zwar davon ausgehen kann, dass Elser den Tod anderer durchaus in Kauf nahm, es ihm aber bei der Durchführung des Attentates sichtlich darauf ankam, nicht den größtmöglichen Schaden anzurichten, sondern den ihm verhassten Kriegstreiber Adolf Hitler zu töten. Es ist bedauerlich, dass diese Tat trotz der Rehabilitation Elsers nach wie vor nur ein Randdasein in der Geschichtslehre fristet, denn an deutschen Gymnasien spielt z. B. das Attentat des 8. November 1939 im Unterricht kaum eine Rolle. Dabei zeigt gerade dieses, dass Widerstand durchaus auch die Sache eines Einzelnen sein kann, wenn er in Ausschöpfung seiner Rechte seine politische Verantwortung wahr nimmt.

Thomas Becker

Juli/August 2000

 

5. LITERATURLISTE

Klaus Schubert/Martina Klein, Das Politiklexikon, Bonn, Dietz, 1997.

Widersetzlichkeit und Widerstand von Einzelnen, Drei Beispiele, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 243 der Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Widerstand 1933-1945, München, 1994, S. 22-25.

Rudolf Stöber, Geschichte, Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen, 1996.

Hans Maier, Das Recht auf Widerstand, in: Peter Steinbach/Johannes Tuchel, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1994, S. 33-42.

Lothar Fritze, Das Attentat Georg Elsers auf Hitler im Bürgerbräukeller aus neuer Sicht, Frankfurter Rundschau, 8. November 1999.

Wilhelm von Sternburg, Ein stiller Held, Die Zeit Nr. 42, 14. Oktober 1999.

Wilfried F. Schoeller, Der anonyme Held, Tagesspiegel, 8. November 1999, in: Online-Archiv http://195.170.124.152/archiv/ 1999/11/07/ak-ws-ge-41582.html

Stefan C. Dickmann, Der vergessene Widerstandskämpfer, Hamburger Abendblatt, 6. November 1999, in: Online-Archiv
http://www.abendblatt.net/contents/ha/news/reportage/html/061199/Anschl330.HTM

Ines Reich, Das Bild vom deutschen Widerstand in der Öffentlichkeit und Wissenschaft der DDR, in: Peter Steinbach/Johannes Tuchel, Wiederstand gegen den Nationalsozialismus, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1994, S. 557-571.

Peter Steinbach, Widerstandsforschung im politischen Spannungsfeld, in: Peter Steinbach/Johannes Tuchel, Wiederstand gegen den Nationalsozialismus, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1994, S. 597-622.

 

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